Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat am NATO-Gipfel in Madrid teilgenommen. Dabei beschlossen die Staats- und Regierungschefs das neue strategische Konzept der Allianz und angesichts des Ukrainekrieges eine massive Verstärkung an der NATO-Ostflanke mit einer erheblichen Erhöhung der schnellen Eingreifkräfte. Daran hat die Bundeswehr großen Anteil.
Demnach wird die Zahl der schnellen Eingreifkräfte der NATO erheblich erhöht. Die Mitgliedstaaten stellen derzeit circa 40.000 Soldatinnen und Soldaten für die NATO Response Force (NRFNATO Response Force), die Verstärkungs- oder Reaktionskräfte der NATO. Beim Gipfel beschlossen nun die Staats- und Regierungschefs eine Aufstockung dieser Kräfte in erhöhter Bereitschaft auf insgesamt rund 300.000 Soldatinnen und Soldaten.
„Deutschland ist bereit, seinen Beitrag zu leisten. Die NATO muss stark sein“, brachte es Verteidigungsministerin Christine Lambrecht auf den Punkt. So wird sich die Bundeswehr in erheblichem Umfang an der Aufstockung der schnellen Eingreiftruppe der NATO beteiligen: Deutschland wird eine Division Landstreitkräfte stellen – rund 15.000 Soldatinnen und Soldaten – sowie rund 65 Flugzeuge und 20 Schiffe.
Hintergrund: Die gegenwärtige Streitkräftestruktur, die NATO Force Structure, wird den aktuellen Herausforderungen an der NATO-Ostflanke vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges nicht mehr gerecht. Deshalb passt die Allianz diese Struktur bis 2024 an. Aus der NATO Force Structure, deren Herzstück die schnellen Eingreifkräfte der NATO beziehungsweise die NRFNATO Response Force sind, wird das New Force Model (NFMNew Force Model).
Es besteht aus regionalen Zuordnungen. Das heißt: Die Verbände bleiben in ihren jeweiligen Heimatländern stationiert, werden aber im Voraus bestimmten Ländern und Territorien zugewiesen und üben dort – zum Beispiel an der NATO-Ostflanke. Wenn es nötig ist, werden die Kräfte in ihr jeweiliges Einsatzgebiet verlegt. Dort sind sie dann zukünftig für den Schutz des Gebietes verantwortlich.
Darüber hinaus wird Deutschland zur Stärkung der NATO-Ostflanke schon in näherer Zukunft einen weiteren wichtigen Beitrag leisten. Demnach wird auf Initiative von Lambrecht die Bundeswehr eine neue multinationale Kampftruppenbrigade in Litauen anführen und sich daran auch substanziell mit deutschen Kräften beteiligen.
Die Bundeswehr baut damit ihre Rolle als Rahmennation in Litauen weiter aus. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg: „Dies ist die größte Überarbeitung unserer kollektiven Verteidigung seit dem Ende des Kalten Krieges.“ Stoltenberg und US-Präsident Joe Biden sprachen von einem „historischen Gipfel“. Von diesem Gipfel ging die unmissverständliche Botschaft aus, dass die NATO stark und geeint ist. Und die Einigkeit der NATO ist ihre Stärke.
Bei diesem wegweisenden NATO-Gipfel, der vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges eine ganz besondere Bedeutung erlangte, haben die Staats- und Regierungschefs der 30 NATO-Mitgliedstaaten das neue strategische Konzept der Allianz beschlossen. Darin wird Russland als die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und den gesamten euroatlantischen Raum bezeichnet. Es ist das Ergebnis eines intensiven Reflexionsprozesses des Bündnisses, der auf deutsche Initiative zurückgeht.
Mit dem Beschluss ist die Aktualisierung des strategischen Konzeptes, welche die Staats- und Regierungschefs beim Leaders' Meeting vor einem Jahr beauftragt hatten, nunmehr vollzogen worden. Nach dem NATO-Vertrag stellt dieses Konzept das wesentliche Grundlagendokument dar, aus dem die NATO ihre Politik, ihre Fähigkeiten und ihr operatives Handeln der Zukunft ableitet. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einer Weichenstellung für die Sicherheit Europas.
Mit dem Beschluss des neuen Konzepts dokumentiert die Allianz, dass sie selbstbewusst und geschlossen im globalen Wettbewerb steht. Das Grundlagendokument signalisiert zugleich die große Solidarität des Bündnisses mit der Ukraine. Eine starke und unabhängige Ukraine, deren Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj zum Gipfel per Video zugeschaltet war, ist für das Bündnis von vitalem Interesse für Stabilität im euroatlantischen Raum. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte in Madrid, die Ukraine erhalte Unterstützung, so lange wie nötig.
Ministerin Lambrecht sagte im Vorfeld des Gipfels gemeinsam mit ihrer niederländischen Amtskollegin Kajsa Ollongren der Ukraine sechs weitere Panzerhaubitzen 2000 zu: drei aus Deutschland, drei aus den Niederlanden. Damit wird das gemeinsame Paket auf 18 Panzerhaubitzen 2000 aufgestockt.
Angesichts der dramatischen und disruptiven Veränderungen im sicherheitspolitischen Gefüge Europas sehen die Staats- und Regierungschefs das strategische Konzept als ein modernes, glaubwürdiges, flexibles und durchhaltefähiges Verteidigungskonzept an. Es gilt als die Blaupause für das politische und operative Handeln der Allianz – jetzt und bei künftigen Krisen.
Nach vielen Jahren der Versuche der NATO zum Dialog mit Russland bis hin zur praktischen Kooperation im NATO-Russland-Rat, unter anderem in Afghanistan, markiert das neue Konzept angesichts des Überfalls Russlands auf die Ukraine eine fundamentale Reaktion zu einer noch umfassenderen und verstärkten Verteidigungsbereitschaft der Allianz. Es geht um Abschreckung, um Vornepräsenz und Vorneverteidigung, insbesondere an der Ostflanke. Es geht um Landes- und Bündnisverteidigung sowie um eine konsequent auf 360 Grad orientierte Allianz.
Neben dem Fokus auf die NATO-Ostflanke und den Aggressor Russland nimmt die NATO China und den indopazifischen Raum noch stärker in den Fokus. Die Allianz sieht die aufstrebende und raumgreifende Großmacht China nun grundsätzlich als „systemische Herausforderung“ an. Weiter geht es um die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und die staatliche Instabilität an Teilen der Südflanke der Allianz – so im Nahen Osten und in Nordafrika.
Neben einer stetigen Anpassung und Verstärkung der konventionellen Kräfte des Bündnisses mit maßgeblichem Anteil der Bundeswehr richtet das neue strategische Konzept den Blick auch auf die nukleare Abschreckung des Bündnisses. In diesem Kontext betont das in Madrid verabschiedete Konzept das Ziel der NATO, durch seine nuklearen Fähigkeiten den Frieden zu sichern und zu bewahren sowie Aggressoren abzuschrecken. Deutschland steht mit seinen Atomwaffenträgersystemen in vollem Umfang zur nuklearen Teilhabe am atomaren Schutzschirm der NATO.
Der große Bogen, der in dem neuen strategischen Konzept der NATO geschlagen wird, reicht von den Themen Cyber- und Weltraumsicherheit über hybride und asymmetrische Bedrohungen bis hin zu Klimaschutz und disruptiven Technologien.
Das strategische Konzept bildet so ein wichtiges Kommunikationsinstrument sowohl in Richtung der eigenen Bevölkerung als auch in Richtung möglicher Gegner oder Herausforderer.
Dieser Gipfel ist der Norderweiterung der NATO ein gutes Stück nähergekommen: Die Allianz hat die offizielle Einladung an die ehemals neutralen Staaten Schweden und Finnland zum Beitritt ausgesprochen.
Ministerin Lambrecht traf in Madrid mit ihrem norwegischen Amtskollegen Bjørn Arild Gram zusammen. Dabei bezeichnete sie die Norderweiterung um Schweden und Finnland als historische Entscheidung. Lambrecht erörterte mit Minister Gram die weitere Stärkung der Ostflanke und den Ausbau von Rüstungskooperationen.
Finnland und Schweden hatten wegen Russlands Überfall auf die Ukraine um den Beitritt ins Bündnis ersucht. Deutschland unterstützte ihren Antrag von Anfang an uneingeschränkt. Finnland und Schweden sind bereits seit Langem enge europäische Partner der NATO, die an dem durch Deutschland geführten Rahmen-Nationenkonzept beteiligt sind. Sie erfüllen bereits jetzt alle NATO-Standards.
Die Staats- und Regierungschefs haben beim NATO-Gipfel in Madrid – im Sinne von burden sharing zur Lastenverteilung – das Zwei-Prozent-Ziel der Allianz nochmals betont. Deutschland unterstrich seine feste Zusage. So wird die Bundesregierung im mehrjährigen Durchschnitt das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreichen. Das hatte Ministerin Lambrecht im Vorfeld bekräftigt.
Zudem werden mit dem beschlossenen Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro in den kommenden Jahren zusätzliche Investitionen in Ausstattung, Ausrüstung und umfassende Modernisierung der Bundeswehr auch zum Nutzen der NATO ermöglicht. Bundeskanzler Olaf Scholz stimmte die Bürgerinnen und Bürger darauf ein, dass Deutschland in Zukunft sehr viel mehr Geld für Verteidigung ausgeben müsse.
Im Zuge der NATO-Agenda 2030 setzte der Gipfel weiterhin den bereits 2021 eingeschlagenen Weg fort, die Gemeinschaftsfinanzierung der Allianz bedarfsgerecht auszubauen. Deutschland trug im vergangenen Jahr mit rund 422 Millionen Euro 16,3 Prozent der insgesamt 2,6 Milliarden Euro umfassenden Gemeinschaftsfinanzierung der NATO.
Das Bündnis hat darüber hinaus den multinationalen NATO Innovation Fund aus der Taufe gehoben. Damit investiert sie auf den Feldern Entwicklung und Forschung in innovative Start-ups. Sie schlägt damit die Brücke zwischen zivilen und militärischen Projekten. Disruptiven Technologien kommt eine Schlüsselrolle für die zukünftige Sicherheit zu. Ziel des NATO Innovation Fund ist es, den Technologievorsprung auch in der Zukunft zu erhalten. 21 Staaten haben beim Gipfel in Madrid ihre Bereitschaft erklärt.
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