70 bis 100 deutsche Soldatinnen und Soldaten sind seit 2016 wieder dauerhaft in Kundus stationiert. Sie sind aber nicht in ihr „altes“ Feldlager zurückgezogen, sondern in ein afghanisches Camp, das Camp Pamir. Hier bilden sie afghanische Kameraden aus. „Train, Advise and Assist“, lautet der Auftrag im Rahmen der Mission Resolute Support. „Hier in Kundus hat sich eine ganze Menge verändert“, sagt der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, der die Truppe in der nordafghanischen Stadt besucht.
Reale Einsätze haben für ihn „höchste Priorität“ – daher besucht der Generalinspekteur die Truppe in Afghanistan.
Ein Dutzend Berater stehen dem afghanischen Kommandeur, Generalmajor Mirzai, und seinem Stab zum Beispiel beim Erstellen von Operationsplänen zur Seite, aber auch bei der Weiterentwicklung der Führungskultur, bei der Materialbeschaffung, der Umsetzung von Baumaßnahmen oder anderen logistischen Verfahren.
„Der Blick nach vorn fällt vielen noch schwer“, bemerkt Oberst Matthias E., der Chef der Beratergruppe im Camp Pamir. Viele afghanische Führungskräfte hätten reichlich Erfahrung als Soldaten, also auf dem Feld, aber nicht unbedingt in der Stabsarbeit. Die tägliche Unterstützung des Korpsstabes bei der Planung und Führung von Operationen ist noch notwendig und manchmal eine Aufgabe rund um die Uhr. Für E. und sein Team liegt derzeit außerdem der logistische Schwerpunkt auf „Winterization“. Das bedeutet, dass die Afghanen lernen sollen, ihre Armee winterfest zu machen – mit Kleidung, mit Stiefeln, mit Vorräten – und zwar in ausreichender Menge. „Aber“, so Oberst E., „es gibt dabei auch immer den afghanischen Weg, und den müssen wir akzeptieren“.
Die deutschen Soldaten leisten hier echte Aufbauarbeit. Im April 2019 erst hat die afghanische Armee angefangen, in Kundus das neue 217. Korps aufzubauen; bisher war hier die 20. Division des 209. Korps stationiert. Vier Brigaden mit insgesamt 15.000 Soldaten sollen es werden - zurzeit sind es etwa 12.000. „Ein ambitioniertes Ziel“, bemerkt Oberst E., obwohl es hier eine der besten Rekrutierungsraten landesweit gebe.
Doch die afghanischen Sicherheitskräfte haben nach wie vor traurig hohe Verluste zu beklagen. In den vergangenen drei Monaten hat das 217. Korps hier fast 500 Soldaten verloren, so viel wie ein ganzes Bataillon, und das allein an Checkpoints. Deswegen empfehlen ihnen die deutschen Berater auch, lieber größere Basen, sogenannte Battlepositions, anzulegen, die im Ernstfall besser zu verteidigen sind und von denen aus schnelle Eingreiftruppen eingesetzt werden können. Ein Schwerpunkt ihrer derzeitigen Arbeit mit den Afghanen.
Die Verantwortlichen der Mission Resolute Support schätzen die Bedrohungslage in Kundus weiter als erheblich ein. Die deutschen Soldaten im Camp Pamir spüren das regelmäßig auch in der näheren Umgebung; nicht nur, weil die Kameraden in der notfallchirurgischen Einrichtung regelmäßig Afghanen mit schweren Kriegsverwundungen operieren. Anfang September schlug eine Rakete im Camp ein. In den Sheltern ist zum Glück niemand verletzt worden. Der Spezialist für die Bedrohungslage der Beratergruppe hat auf den Drohnenbildern an seinem Bildschirm live gesehen, wie die Rakete abgefeuert wurde. „Wenigstens wussten wir, dass etwas kommt“, bemerkt Oberst E.
General Zorn war im Mai zuletzt in Afghanistan, damals in Masar-i Scharif, Bagram und Kabul. Jetzt will er aktuelle Eindrücke vor Ort sammeln, damit er den Parlamentariern im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages „ein authentisches Bild vermitteln“ kann, wenn die Gespräche über die Verlängerung des Einsatzes beginnen. Das aktuelle Mandat läuft noch bis Ende März, doch die Diskussionen haben längst begonnen, stark geprägt von der möglichen Wiederaufnahme der Friedensgespräche des größten Truppenstellers USA mit den Aufständischen.
Derzeit warten alle gespannt auf das Ergebnis der Präsidentenwahlen vom September. Die offizielle Verkündung wird nicht vor Ende des Monats erwartet. Diese Themen vertieft der Generalinspekteur anschließend in Kabul. Dort führt er Gespräche mit dem amerikanischen Befehlshaber der Mission Resolute Support, General Scott Miller, und dessen Chef des Stabes, dem deutschen Generalleutnant Andreas Marlow, sowie dem deutschen Botschafter Peter Prügel. „In diesem Land hat sich in den vergangenen 18 Jahren eine Menge getan“, sagt Prügel. Und auch die Offiziere, die in Kabuler Ministerien als Berater tätig sind, bestätigen, „dass eine neue, sehr gebildete Generation“ in die Führungsebenen eingezogen sei. Erfolge seien leider nur schwer in Zahlen messbar – und noch schwerer zu kommunizieren.
Im Gespräch mit den Soldaten vor Ort – der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn.
Der Generalinspekteur hatte seinen Truppenbesuch in Masar-i Scharif begonnen, wo der Großteil der insgesamt rund 1.000 deutschen Soldatinnen und Soldaten Dienst tut. Brigadegeneral Jürgen Brötz, der Kommandeur des Regionalkommandos Nord der Mission Resolute Support, berichtet hier ebenfalls von Erfolgen des Ansatzes „train, advise and assist“, dem mittlerweile sogar ein eigenes eingedeutschtes Verb gewidmet ist: Sowohl in Masar-i-Sharif als auch in Kundus spricht man mittlerweile von „t-a-a-en“. Nicht nur das belegt, wie sehr die Soldaten ihren Auftrag internalisiert haben.
„Ich fahre mit einem guten Gefühl wieder nach Hause“, sagt General Zorn zum Ende seines Besuchs. Er erlebe durchweg Kameraden, die hervorragend motiviert seien und den richtigen Mindset hätten. Mit „Mindset“ meint er die Einstellung, dass sich jede Soldatin und jeder Soldat Folgendes bewusst machen müsste: „Reale Einsätze haben höchste Priorität. Und dafür müssen wir vorbereitet sein – egal, ob in der Truppe oder im Ministerium; egal, ob es um die persönliche Einsatzbereitschaft geht oder um die Einsatzbereitschaft insgesamt.“
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