Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Minister Kunasek,
sehr geehrte Frau Bundesrätin Amherd,
meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich freue mich, dass ich heute zum Sicherheitspolitischen Jahresauftakt bei Ihnen in Österreich bin.
Expertinnen und Experten aus Österreich und vielen anderen Ländern Europas haben dazu Ihre sehr lesenswerte Sicherheitspolitische Jahresvorschau erarbeitet. Wir finden darin die Stichworte, die die Sicherheitspolitik in Europa auch im Jahr 2019 prägen werden: das expansive Verhalten Russlands, ein zunehmend forderndes China, in unserer Nachbarschaft ein fragiles Afrika und tektonische Verschiebungen im Nahen und Mittleren Osten.
Die meisten europäischen Staaten schätzen diese Themen sehr ähnlich ein – auch das zeigt ein Blick in Ihre Jahresvorschau 2019. Wir Europäer wissen, dass wir diesen Herausforderungen nur gemeinsam begegnen können und wollen.
Denn das ist unsere europäische Erfahrung.
Wenn wir uns gegenseitig bekämpfen, verlieren wir alle. Wenn wir aber zusammenarbeiten, dann gewinnen wir alle. Das unterscheidet uns von jenen, die meinen, dass sie nur gewinnen können, wenn andere verlieren.
Natürlich sind Zusammenarbeit und Kooperation nicht immer einfach. Sichtweisen unterscheiden sich, und es braucht Zeit, Kompromisse zu verhandeln. Aber wenn man den gemeinsamen Weg einmal gefunden und fest verabredet hat, dann wachsen aus der Gemeinsamkeit Kräfte, die der Einzelne niemals hätte. Nur so kommen wir voran.
Das ist Multilateralismus.
Das hat uns in Europa in den vergangenen 70 Jahren eine Erfolgsgeschichte sondergleichen beschert. Vom gemeinsamen Markt, mit einem größeren BIPBruttoinlandsprodukt als die USA, über gemeinsame Währung, Freizügigkeit und Bildung bis hin zum Sozialen, mit einer Arbeitslosigkeit auf Rekordtief.
Nun ist es an der Zeit, diese Erfolgsgeschichte weiterzuschreiben – auch und gerade in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Auf diesem Weg haben wir im letzten Jahr, gerade während der österreichischen Ratspräsidentschaft, bemerkenswerte Fortschritte erreicht.
So ist es ein Verdienst der österreichischen Ratspräsidentschaft, dass wir unsere Zusammenarbeit mit den Staaten Südost-Europas wiederbelebt haben. Wir wollen unsere Nachbarn fest an unserer Seite wissen. Impulse und Ideen der österreichischen Ratspräsidentschaft wollen wir aufnehmen und weiterführen!
„Ein Europa, das schützt“ – das ist es, was die Bürgerinnen und Bürger von Europa erwarten. Und deswegen war es ja auch das Motto der österreichischen Ratspräsidentschaft.
„Ein Europa, das schützt“ – das muss aber auch handeln wollen und handeln können!
Den Grundstein dafür haben wir im Dezember 2017 gelegt: Wir haben die Europäische Verteidigungsunion aus der Taufe gehoben – ein Meilenstein!
Ihr Herzstück ist die ständige, strukturierte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigung, die PESCOPermanent Structured Cooperation.
Die Europäische Verteidigungsunion hat im Dezember ihren 1. Geburtstag gefeiert. Und sie hat sich in ihrem ersten Jahr prächtig entwickelt – verbindlich und ambitioniert.
Den verbindlichen Rahmen setzen die anspruchsvollen Verpflichtungen, die 25 Staaten miteinander eingegangen sind.
Ambitioniert sind die 34 Projekte selbst, alle mit dem Fokus auf die drei großen Bereiche Ausbildung, Fähigkeiten und Einsatz. Alle so ausgewählt, dass sie gemeinsame europäische Fähigkeitslücken füllen.
Übrigens auch so, dass sie Lücken der NATO schließen und dadurch auch die NATO stärker wird!
Österreich beteiligt sich aktiv an mehreren Projekten: Military Mobility, European Union Training Mission Competence Center, CBRN-Überwachung.
Und wir arbeiten an weiteren Bausteinen der Europäischen Verteidigungsunion.
CARDCoordinated Annual Review on Defence, der Mechanismus zur Koordinierung unserer Verteidigungsplanung, hat seine Testphase erfolgreich abgeschlossen. Und das ist mehr als überfällig.
Wir wissen doch alle, dass die Fragmentierung der Waffensysteme in den europäischen Streitkräften unerträglich ist. Wir müssen Entwicklung und Beschaffung unserer europäischen militärischen Fähigkeiten besser abstimmen können. Dazu dient CARDCoordinated Annual Review on Defence.
Aber auch der dritte Baustein – der Europäische Verteidigungsfonds – ist ein echter „game changer“. Zum ersten Mal gibt es europäisches Geld für gemeinsame Forschung, Entwicklung und Beschaffung.
Die Europäische Kommission plant mit 13 Mrd. Euro im EVFEuropäische Verteidigungsfonds bis zum Jahr 2027.
Der EVFEuropäische Verteidigungsfonds setzt den Anreiz für uns Europäer, die nächste Generation der Systeme gemeinsam zu entwickeln: Sei es im Cyberbereich, in der Digitalisierung landbasierter Systeme, in der unbemannten Luftfahrt oder in der Marine.
Dann werden wir nicht nur gemeinsam beschaffen, sondern auch Ersatzteilmanagement und Instandhaltung gemeinsam machen, d.h., gemeinsam organisieren, gemeinsam ausbilden, gemeinsam üben und in Missionen gehen.
Der Europäische Verteidigungsfonds ist Ausdruck unseres grundsätzlichen Prinzips: Nationale Lösungen sollen Ausnahme, europäische Lösungen die Regel sein.
Wir haben als weiteren Baustein die Weiterentwicklung der Military Planning and Conduct Capability (MPCCMilitary Planning and Conduct Capability) zu einem echten europäischen Hauptquartier. Hier werden Soldatinnen und Soldaten im Einsatz die Unterstützung aus Brüssel erhalten, die sie zur Erfüllung ihres Auftrags brauchen.
In all unseren Initiativen ist angelegt: eine immer engere Verzahnung unserer Streitkräfte, mit immer mehr gemeinsamen Fähigkeiten, von der Planung bis zum Einsatz zusammengehalten von einem effizienten Krisenmanagement der EU, unter Beibehaltung der nationalen Souveränität. Es ist angelegt der Weg zu einer „Armee der Europäer“.
Manches davon ist übrigens keine ferne Vision mehr, sondern wird von uns tagtäglich gelebt:
Ein hervorragendes Beispiel dafür ist das deutsch-österreichische Engagement bei EUTMEuropean Union Training Mission Mali. Deutschland hat jetzt die Missionsführung inne, die uns von Spanien übergeben wurde. Österreich wird die Missionsführung im Juni 2019 von Deutschland übernehmen.
Meine Damen und Herren,
bei der Gestaltung der Europäischen Verteidigungsunion ist uns wichtig, dass wir transatlantisch bleiben und europäischer werden. Wir wollen mehr Europa in die transatlantische Partnerschaft einbringen. Eine Stärkung der militärischen Fähigkeiten Europas kommt auch der NATO zu Gute.
Europa muss handlungsfähig sein, damit es eigenständig handeln kann.
Denken Sie an die schwelende Krise im ehemaligen Jugoslawien Anfang der 90er. Und die damalige Unfähigkeit der Europäer, auf dem eigenen Kontinent für Stabilität zu sorgen.
Denken Sie an Mali 2013, als eine schnelle Reaktion der EU geboten war, und letztlich Frankreich eingreifen musste.
Das darf sich nicht wiederholen!
Deswegen wollen wir ein stärkeres, handlungsfähiges Europa schaffen. Und das wird auch das atlantische Bündnis stärker und handlungsfähiger machen.
Die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO so eng wie möglich zu gestalten, das ist ohnehin eine der Hauptaufgaben der kommenden Jahre. Dazu müssen wir Europäer uns nach Kräften einbringen, etwa mit dem Rahmennationenkonzept. Ich bin sehr dankbar, dass wir Österreich hier als Partner gewonnen haben.
Meine Damen und Herren!
Heute geht es darum, nach vorne zu schauen.
Eigene Aufgaben – die Stärkung der europäischen Handlungsfähigkeit – zu skizzieren, aber auch Erwartungen.
Deswegen ist auch meine Erwartung an die Europäische Kommission, diese Entwicklung weiter voranzutreiben.
Wir brauchen eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik aus einer Hand. Die mit einer Stimme spricht. Und am besten unter einer Telefonnummer zu erreichen ist. Damit wir die besonderen Stärken der Europäischen Union auch in der Sicherheitspolitik entfalten können.
In einer Zeit, in der der Multilateralismus und die regelbasierte internationale Ordnung unter besonderem Druck stehen, ist ein gestaltungsfähiges Europa mehr gefordert denn je.
Und: Unser Europa braucht die ganze Gestaltungskraft Österreichs.
Denn Österreich, ich sage dies mit allem Respekt vor der Neutralität Ihres Landes, gehört zu denen, die genau wissen, dass in unserer heutigen Welt Sicherheit nur gemeinsam zu erreichen ist.
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