Am 13. April hat sich die Arbeitsgruppe 1 in einem ganztätigen Workshop in Berlin über die internationalen Rahmenbedingungen der deutschen Sicherheitspolitik ausgetauscht. Im Anschluss an den Workshop empfing Ministerin Ursula von der Leyen die Experten zu einem Kolloquium im Verteidigungsministerium.
Bei der Begrüßung der Experten hob die Ministerin hervor, dass die Sicherheitslage „komplexer, brisanter und weniger kalkulierbar“ geworden sei. Zusätzlich zu Bedrohungen wie den transnationalen Terrorismus, dschihadistische Bewegungen, zerfallende Staaten und Cyber-Attacken erlebe die Welt die „Renaissance einer traditionellen Machtpolitik“.
Neben neuer Rüstungsspiralen zeige das Beispiel des Ukraine-Konflikts, wie autoritäre Staaten auf eine Form der „hybriden Kriegsführung“ zurückgriffen, um schwache Staaten durch militärische Mittel, ökonomischen Druck und Propaganda gezielt von innen zu destabilisieren.
Für von der Leyen stellen sich für Deutschland drei wesentliche Fragen: Wie erkennt man Risiken und Bedrohungen bereits frühzeitig? Wie kann man sich vor ihnen am besten schützen und wie beziehungsweise wann sollte die Bundesrepublik auf sie reagieren?
Im Weißbuchprozess müsse neben einer Kategorisierung von Gefahren auch eine Priorisierung erfolgen. Als Indikatoren nannte die Ministerin unter anderen die geografische Nähe, die Unmittelbarkeit und Intensität für die eigene Bevölkerung, bündnispolitische Verlässlichkeit und humanitäre Verpflichtungen. Das neue Weißbuch solle, so von der Leyen, „ein nationales Dokument […] mit einem internationalen Charakter“ werden.
Unter der Moderation des Leiters der Abteilung Politik des BMVgBundesministerium der Verteidigung, Geza von Geyr, fasste eine Paneldiskussion im Anschluss die wichtigsten Ergebnisse des vorangegangenen Workshops zusammen.
Nach Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, hat ein Weißbuch drei Aufgaben: Erstens diene es der Selbstvergewisserung und der Information der Öffentlichkeit über die sicherheitspolitischen Grundlagen der Bundesrepublik. Zweitens solle es nach Außen deutlich machen, welche Instrumente und Ressourcen hierfür eingesetzt werden. Und drittens solle der Weißbuchprozess auch einen Beitrag zur strategischen Selbstvergewisserung auf europäischer Ebene liefern.
Das neue Weißbuch müsse letztlich den Status Deutschlands in der Welt als eine „verantwortliche Mittelmacht“ definieren, die an den Bemühungen der kollektiven Verteidigung, kooperativen Sicherheit und dem internationalen Krisenmanagement teilhaben müsse.
Die Teilnehmer der Paneldiskussion fassten die Ergebnisse des Workshops zusammen.
Auch Fiona Hill, Direktorin am „Center on the United States and Europe“ an der Brookings Institution in Washington, erläuterte, dass von Deutschland erwartet werde sich international einzubringen. Mit seiner Entwicklung nach 1945 und der Bereitschaft, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen, sei es ein erfolgreiches Modell für die Transformation von Staaten. Deutschland genieße heute ein hohes Maß an Vertrauen und könne eine führende Rolle in Europa einnehmen.
Nach Roderich Kiesetter, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Präsident des Reservistenverbandes, war man sich in den Koalitionsverhandlungen Ende 2013 einig, dass ein neues Weißbuch zwar mittelfristig angeraten sei, zu diesem Zeitpunkt aber keine Herausforderungen erkennbar waren, die die Erstellung eines neuen Weißbuchs dringlich gemacht hätten. Nur wenige Monate später stellte sich die Frage neu. Viele, gleichzeitig stattfindende, Krisen und das russische Vorgehen in der Ukraine hätten deutlich gemacht, dass die „Zivilmacht“ Deutschland weiterhin eine glaubwürdige Verteidigung und eine Debatte über seine sicherheitspolitische Strategien und Instrumente benötige.
Für Fritz Felgentreu, Mitglied des Verteidigungsausschusses, komme man bei einer nüchternen Analyse nicht an der Erkenntnis vorbei, dass die sicherheitspolitische Zusammenarbeit in Europa ausgebaut werden müsse. Gemeinsam könnten die EUEuropäische Union-Mitgliedstaaten viel mehr Einfluss ausüben und an Gestaltungskraft gewinnen. Deutschland sei hierfür ein gutes Beispiel, da es seine Außen- und Sicherheitspolitik nur im europäischen Kontext ausübe. Anstelle der Zukunftsvision einer Europäischen Armee nachzugehen, sollten durch eine „Politik der kleinen Schritte“ neue Kooperationen und Strukturen wie ein Europäisches Hauptquartier oder eine Europäische Führungsakademie erschlossen werden.
Bereits bei der Auftaktveranstaltung des Weißbuchprozesses am 17. Februar hatte die Ministerin angekündigt, dass die Erstellung des neuen Weißbuchs „nicht im stillen Kämmerlein“ stattfinden und sie „von Anfang an breit Expertise einbinden“ wolle. Über 200 renommierte Experten aus Politik, Wissenschaft, Medien und der Industrie nahmen auf Einladung des an der Veranstaltung teil. In vier Arbeitsgruppen setzen sie sich mit der internationalen sicherheitspolitischen Entwicklung, Deutschlands Bündnis- und Partnerschaftspolitik, dem nationalen Handlungsrahmen sowie der Rolle der Bundeswehr auseinander.
Nachdem die Arbeitsgruppen ihre Themenfelder bei der Auftaktveranstaltung abgesteckt haben, treffen sie sich in der „Partizipationsphase“ zu Workshops. Die Treffen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, um einen möglichst offenen Austausch zu befördern. Die Themen und Vorschläge werden im Anschluss in Kolloquien vorgestellt, die auch für die Presse zugänglich sind. Die Partizipationsphase wird mit einer Abschlussveranstaltung Ende 2015 abgeschlossen, die sich in Aufbau und Inhalt an die Auftaktveranstaltung anlehnt.
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