Rede des Bundesministers der Verteidigung Boris Pistorius beim 3. BDIBundesverband der Deutschen Industrie-Weltraumkongress in Berlin am 25. September 2025
Sehr geehrter Herr Leibinger,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung. Es ist mir persönlich eine sehr große Freude, beim Weltraumkongress des Bundesverbands der Deutschen Industrie zu sprechen.
In gewisser Weise kann ich dank Ihnen heute zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Zum einen liegt mir der enge Draht zwischen der Industrie und der Bundeswehr sehr am Herzen. Wir haben so viele gemeinsame Themen, dass wir gar nicht häufig genug zusammenkommen können.
Zum anderen hat diese Veranstaltung für mich Ihren ganz persönlichen Reiz.
Es geht um eine Faszination, die bis in meine Jugend zurückreicht und die bis heute anhält. Ein Faible für all das, was unsere Vorstellungskraft herausfordert und Blicke in die unendlichen Weiten ermöglicht. Daher mache ich auch kein Staatsgeheimnis daraus, dass ich ein bekennender Star-Trek-Fan bin.
Wer die Serie kennt, der weiß: Es geht um weit mehr, als den Weltraum und die Wissenschaft.
Es geht um den Umgang mit Neuem, um die Abwehr von Bedrohungen und vor allem: um eine Philosophie des Miteinanders.
Eine der zentralen Botschaften ist: Unsere Absichten sind friedlich. Wir wollen nichts erobern, sondern voneinander lernen. Wenn wir kämpfen, dann nur, um uns zu verteidigen.
Diese Botschaft ist über 50 Jahre alt und sie bringt auf den Punkt, was auch uns antreibt.
Die friedliche Nutzung des Weltraums, Zusammenarbeit, Forschung und Fortschritt. Die Begeisterung für die unendlichen Weiten begleitet uns seit Jahrzehnten. Sie steht für Entdeckergeist, für Innovation und Zukunft.
Die Realität ist leider eine andere: Der Weltraum ist nicht nur ein Ort der Wissenschaft und Visionen. Immer mehr Staaten nutzen ihn, um uneingeschränkt ihren geopolitischen Einfluss auszuweiten. Er ist ein Ort, an dem Konflikte und Bedrohungen sehr real sind.
Wir stehen dabei – genauso wie auf der Erde – auch im Weltraum für eine regelbasierte Ordnung. Für die bestehenden Regelungen. Insbesondere den Weltraumvertrag von 1967.
Wir müssen angesichts des Verhaltens von mehr und mehr Staaten im Weltraum aber auch realistisch sein. Wir müssen auch im All für unsere Sicherheit einstehen und uns verteidigen können.
Meine Damen und Herren,
der Weltraum eröffnet uns viele Möglichkeiten: von der globalen Kommunikation bis zur Erdbeobachtung, von der Wettervorhersage bis zur Navigation.
Gleichzeitig wächst unsere Abhängigkeit vom Weltraum jeden Tag: Binnen weniger Jahre hat die Satellitennavigation den Umgang mit Karte und Kompass in fast allen Bereichen abgelöst.
Eine der wenigen Ausnahmen ist sicher die Grundlagenausbildung in der Bundeswehr – das wird übrigens aus guten Gründen auch so bleiben.
Aber die wenigsten sind heute so gut ausgebildet wie unsere Rekrutinnen und Rekruten. Logistik, Luft- und Schifffahrt ohne präzise Satellitensignale sind also heute kaum denkbar – von der Operation verbundener Kräfte ganz zu schweigen.
Ein gestörter Satellit kann bedeuten: Flugzeuge finden ihre Route nicht, Schiffe geraten in Gefahr, Banken können ihre Transaktionen nicht mehr synchronisieren und der Pizza-Lieferant unseres Vertrauens hat es schwer, die richtige Haustür zu finden.
Wenn heute jemand im Urlaub sein Handy verliert, ist die Verzweiflung oft größer als bei einem Stromausfall.
Das klingt vermeintlich amüsant, es ist aber bitterer Ernst und es zeigt: Satellitennetzwerke sind die stillen Helfer unseres Alltags.
Wir alle sind abhängig von Daten, die über den Orbit laufen. Jeder Störversuch, jedes GPSGlobal Positioning System-Jamming, jeder Angriff auf Satelliten betrifft nicht nur das Militär oder die Raumfahrtindustrie – er betrifft Millionen von Menschen.
Satellitennetzwerke sind heute eine Achillesferse moderner Gesellschaften. Wer sie angreift, legt ganze Staaten lahm.
Wir wissen: die Konflikte der Zukunft beschränken sich nicht mehr allein auf den Erdball. Sie werden auch im Orbit offen ausgetragen.
Russland und China haben in den letzten Jahren ihre Fähigkeiten zur Kriegsführung im Weltraum rasant ausgebaut: Sie können Satelliten stören, blenden, manipulieren oder kinetisch zerstören. Im Weltraum gibt es keine Grenzen oder Kontinente. Dort sind Russland und China unsere direkten Nachbarn.
Bereits heute sind auch Systeme der Bundeswehr von Stör-Angriffen betroffen. Die Attacken richten sich nicht nur gegen die Truppe, sondern gegen Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt.
Wir erinnern uns: Bereits vor Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine hat ein russischer Cyberangriff auf das Satellitennetzwerk „ViaSat“ große Teile der Kommunikation lahmgelegt.
Das hatte auch in Deutschland Folgen: Die Betriebssteuerung von insgesamt knapp 6.000 Windrädern war massiv eingeschränkt.
Die heutige Bedrohungslage geht weit darüber hinaus. Bei unseren Gebirgsjägern in der Bundeswehr gilt der Satz: Wer die Höhen hat, der kontrolliert auch die Täler.
Würden wir die Situation im Weltraum heute auf eine Landkarte legen, wäre eines sehr schnell offensichtlich: Russland und China besetzen bereits wichtige strategische Hügel und Berge im All.
Allein während ich hier zu Ihnen spreche, überfliegen uns in diesem kurzen Zeitraum insgesamt 39 chinesische und russische Aufklärungssatelliten. Die Beobachtungsergebnisse werden in Echtzeit weitergeleitet.
Zudem führt China mit seinen Weltraumsystemen hochagile und dynamische Annäherungsmanöver durch. Würden wir diese taktischen Verfahren auf die Luftwaffe übertragen, könnten wir von Luftkampfübungen sprechen.
Daneben positioniert Russland seine Aufklärungssatelliten in unmittelbarer Nähe zu Weltraumsystemen der Bundeswehr und befreundeter Nationen.
Aktuell werden zwei IntelSat-Satelliten, die auch die Bundeswehr mitnutzt, durch zwei russische Luch-Olymp-Aufklärungssatelliten verfolgt.
Den rein friedlichen Charakter dieses Verhaltens lasse ich mir gern noch einmal erklären.
Das zeigt, wie nah wir inzwischen an realen Gefährdungslagen sind.
NATONorth Atlantic Treaty Organization-Generalsekretär Rutte hat vor wenigen Monaten seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht, dass Russland die Stationierung von Nuklearwaffen im All in Erwägung ziehen könnte, um damit Satelliten bekämpfen zu können. Er fügte hinzu, dass eine solche Stationierung gegen den Weltraumvertrag von 1967 verstoßen würde. Ich teile sowohl die Sorge als auch die Bewertung.
Um es ganz klar zu sagen: Das russische Verhalten ist auch und gerade im Weltraum, eine fundamentale Bedrohung für uns alle. Eine Bedrohung, die wir nicht länger ignorieren dürfen.
Meine Damen und Herren,
Die Weltraumsysteme sind längst Teil unserer kritischen Infrastruktur. Und sie ist heute und in Zukunft die Grundlage unserer wirtschaftlichen Stärke und unseres Wohlstands.
Die Schlussfolgerung ist klar: Deutschland muss seine Interessen, seine Sicherheit und Freiheit sowie seinen Wohlstand auch im Weltraum schützen.
Das heißt erstens: Zu lange haben wir Weltraumthemen eher als Zukunftsmusik betrachtet. Aber die Bedrohungen sind da. Deshalb brauchen wir Tempo: in der Politik, bei der Bundeswehr, aber auch in der Zusammenarbeit mit der Wirtschaft.
Zweitens: Wir brauchen einen gesamtstaatlichen Ansatz. Im Weltraum hängt alles zusammen.
Die Akteure: seien es private Dienstleister, staatliche Stellen oder militärische Systeme.
Die Themen: Kommunikation, Navigation oder Erdbeobachtung sind alle zugleich zivile, wirtschaftliche und militärische Fragen.
Wir müssen deshalb davon wegkommen, diese Themen in einzelne Schubladen zu sortieren. Alte Denkmuster, die zwischen „zivil“ und „militärisch“ scharf trennen, helfen uns nicht weiter. Im Gegenteil: Sie blockieren.
Der Weltraum hat keine Grenzen, also sollten wir auch keine ziehen, wenn es um unsere gemeinsame Sicherheit geht.
Wir müssen erkennen, dieses Vorhaben ist ein gemeinsames Projekt: für Politik, Industrie, Forschung und Streitkräfte.
Das führt mich zu meinem dritten Punkt: Wir brauchen die enge internationale Kooperation.
Wir können im Weltraum nur gemeinsam mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern, mit unseren Freunden in der Combined Space Operations Initiative sowie in der Operation Olympic Defender und selbstverständlich im NATONorth Atlantic Treaty Organization-Rahmen eine glaubwürdige Sicherheitsarchitektur aufbauen.
Und viertens: Wir brauchen Sie, die Industrie.
Ohne die Innovationskraft, die Forschung, die Entwicklung und die Produktionskapazität der Unternehmen werden wir im Weltraum nichts erreichen. Das gilt für die Nutzung der Chancen ebenso wie für Schutz und Verteidigung gegenüber unseren Gegnern.
Ich sage es ganz klar: Wir als Politik wollen, dass Sie erfolgreich sind. Denn Ihr Erfolg bedeutet Sicherheit für unser Land.
Der BDIBundesverband der Deutschen Industrie leistet heute mit diesem Weltraumkongress einen wichtigen Beitrag, weil er den Fokus auch auf die sicherheits- und verteidigungspolitische Dimension legt.
Und dafür möchte ich Ihnen noch einmal ausdrücklich danken.
Meine Damen und Herren,
für den Weltraum dort oben gilt die gleiche Erkenntnis, die wir erst vor wenigen Jahren hier auf dem europäischen Kontinent schmerzhaft gelernt haben: Frieden und Sicherheit sind keine Selbstverständlichkeiten. Sie müssen verteidigt werden.
Wir haben uns entschieden zu handeln. Auch wenn wir zunächst erst einmal Begriffe für diesen historischen Kurswechsel finden mussten.
Heute, über drei Jahre später, wissen nicht nur die Menschen in unserem Land etwas mit den Worten „Zeitenwende“ und „Kriegstüchtigkeit“ anzufangen. Sie verbinden auch konkretes politisches Handeln damit.
Deutschland ist bereit, mehr Verantwortung zu tragen – als Schrittmacher unter den europäischen Nationen. Diese Verantwortung endet nicht in der Stratosphäre – im Gegenteil.
Deshalb bauen wir innerhalb der Bundeswehr Strukturen auf, um uns mittel- und langfristig auch im Weltraum wirksam verteidigen und abschrecken zu können. Die Bundeswehr ist ein wichtiger Teil einer gesamtstaatlichen Weltraumsicherheitsarchitektur.
Unter dem Begriff Architektur verbirgt sich eine resiliente Struktur aus Satellitenkonstellationen, Bodenstationen, gesicherte Startfähigkeiten und Services. Ein Gesamtpaket, das Schutz und Wirkung gleichermaßen gewährleistet.
Wir nehmen hierfür auch richtig Geld in die Hand. Allein bis 2030 planen wir Haushaltsmittel in Höhe von 35 Milliarden Euro in Projekten einzusetzen.
Diese Architektur umfasst eine Reihe von Maßnahmen: Wir härten unsere Systeme gegen Störungen und Angriffe. Das schließt ganz ausdrücklich die Cybersicherheit für alle Weltraumsysteme ein.
Wir verbessern die Lageerfassung im Orbit durch Radare, Teleskope und durch den zukünftigen Einsatz von Wächtersatelliten.
Zusätzlich müssen wir Redundanzen durch mehrere, vernetzte Satellitenkonstellationen schaffen und auch über Offensivfähigkeiten sprechen. Auch im Weltraum müssen wir abschrecken können, um verteidigungsfähig zu sein.
Deutschland braucht außerdem gesicherte auch on-demand verfügbare Transportkapazitäten ins All – hier setzen wir auf einen Mix: kleine Trägerraketen für flexible Starts, mittelfristig aber auch europäische Schwerlastträger, die im Wettbewerb entstehen – und vor allem bestehen müssen.
Und: Wir brauchen ein eigenes militärisches Satelliten-Betriebszentrum im Weltraumkommando der Bundeswehr. Nur so behalten wir die Kontrolle über unsere Systeme und können im Ernstfall schnell reagieren.
Bei all dem bin ich mir bewusst: Wir bohren hier dicke Bretter.
Wir müssen auch im Weltraum europäischer werden: Wir tragen die Sterne bereits auf unserer Flagge, jetzt muss es darum gehen, unsere Zukunft im All gemeinsam zu sichern.
Diese Architektur wird eine starke deutsche Säule in der NATONorth Atlantic Treaty Organization und für Europa sein – sie wird bestehende NATONorth Atlantic Treaty Organization- und EUEuropäische Union-Programme ergänzen.
Zum Beispiel haben wir kürzlich beim deutsch-französischen Verteidigungsministerrat eine enge Kooperation bei der satellitengestützten Frühwarnung beschlossen. Gleichzeitig werden wir Kooperationen mit internationalen Partnern auch außerhalb Europas ausbauen.
Dies ist uns bei der Operation Olympic Defender gelungen. Seit 2024 sind wir mit dabei. Ein großer Mehrwert für uns neben den 5-Eyes-Nationen Mitglied zu sein.
In der Combined Space Operations Initiative entwickeln wir gemeinsam in enger Zusammenarbeit mit unseren neun Partner in und außerhalb Europas die notwendigen Grundlagen.
Wir planen die Beschaffung neuer Satellitenkonstellationen – zur Frühwarnung, zur Aufklärung, zur Kommunikation. Wir werden auch Dual-Use-Systeme nutzen, also Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch einsetzbar sind.
Wir werden Sie, die Industrie, gezielt einbinden: Strategische Partnerschaften und kooperative Modelle werden daher künftig viel stärker im Fokus stehen. Wir bauen auf Ihre Expertise!
Innovationen von kleinen und mittleren Unternehmen fördern wir künftig unbürokratisch und frühzeitig – größere Unternehmen wollen wir als Systemintegratoren nutzen, die kleine Firmen, einschließlich Start-Ups, einbinden.
Wir nehmen aber auch gerade marktverfügbare Lösungen in den Blick. Und zwar dort, wo diese technologische Abkürzung Sinn macht.
Es geht uns nicht darum, aus Prinzip alles neu zu entwickeln, sondern in einer ganzen Dimension all das aufzuholen, was zu lange vernachlässigt wurde.
Kurz gesagt: Geschwindigkeit und Pragmatismus werden wir mit Innovation verbinden.
Meine Damen und Herren,
ich habe davon gesprochen, dass Satelliten die stillen Helfer unseres Alltags sind.
Sie sorgen dafür, dass wir kommunizieren, reisen, wirtschaften und sicher leben können. Wer sie angreift, greift nicht die Technik an – er greift das Fundament unseres modernen Lebens an.
Die Bedrohungslage ist hoch und die Entwicklungen sind rasant. Dieser Realität müssen wir uns stellen – und Lösungen finden.
In den vielen Gesprächen, die ich führe, wird klar: Deutschland und Europa holen auf. Die Bundeswehr trägt ihren Teil dazu bei. Wir investieren in Schutz, in Resilienz, in Innovation. Wir schaffen das aber nicht allein.
Wir werden nur erfolgreich sein, wenn wir eng zusammenarbeiten: Politik, Wirtschaft, Forschung, Gesellschaft. Wenn wir Vertrauen, Mut und Geschwindigkeit verbinden.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass Deutschland und Europa auch im Weltraum stark und sicher bleiben.
Die Trekkies unter Ihnen wissen: Captain Kirk und Mr. Spock haben ihre Abenteuer nie als Einzelkämpfer überstanden. Es ging darum, unterschiedlichste Fähigkeiten und Erkenntnisse so zu kombinieren, dass am Ende der größtmögliche Erfolg herauskommt.
In diesem Sinne freue ich mich gleich auf Ihre Fragen, Anregungen und Ideen.
Ich danke Ihnen nochmals für die Einladung – und ich wünsche Ihnen persönlich, dem BDIBundesverband der Deutschen Industrie und Ihren Unternehmen von Herzen:
„Leben Sie lang und erfolgreich.“
Vielen Dank!
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