Die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft - ein Dauerbrenner in den Debatten der „sicherheitspolitischen Community“ und, vielfach bedauert, leider gar kein Thema in der breiten Bevölkerung. Stimmt das? Ist das „freundliche Desinteresse“, wie Bundespräsident Horst Köhler es schon vor mehr als zehn Jahren formulierte, immer noch prägend für das Verhältnis zwischen Soldat und Bürger? Und anders herum formuliert: Wie wichtig ist überhaupt gesellschaftlicher Rückhalt für eine Armee im Auslandseinsatz und das nach Aussetzung der Wehrpflicht?
Es waren grundsätzliche Fragen, mit denen sich der nunmehr sechste Experten-Workshop im Rahmen der Beteiligungsphase zum Weißbuch am 3. September 2015 in Berlin unter dem Titel „Bundeswehr in der Gesellschaft“ beschäftigte. Typisch für die Herangehensweise beim aktuellen Projekt, dass ein breites Spektrum an Experten geladen wurde und sehr offen miteinander diskutierte.
Insbesondere die Vertreter der Kirchen befassten sich mit dem ethischen und moralischen Fundament soldatischen Handelns. Bischof Dr. Franz Overbeck erinnerte in seiner Funktion als Katholischer Militärbischof an die christliche Friedensethik. Der Friede sei ihr Konstruktionsprinzip und nicht die Gewalt. Overbeck bezog sich auf die von der „International Commission on Intervention and State Sovereignty entwickelten verschiedenen Dimensionen der Schutzverantwortung. Ihre Grundlage ist die „sovereignity as responsibility“. Sie besagt, dass ein Staat die Fähigkeit für den Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger haben muss, um als souverän zu gelten. Selbstverteidigung des Landes und das Prinzip, insgesamt Menschen vor massivem Unrecht und brutaler Gewalt zu schützen ist moralische Grundlage für den Einsatz der Bundeswehr.
Offene und vorurteilsfreie Diskussionen am Ende der Veranstaltung.
Diskutiert wurde über die verschiedenen Aspekte dieser moralischen Grundlage des Einsatzes von Streitkräften. Beginnt sie erst bei unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben oder ist es ebenfalls legitim militärische Gewalt einzusetzen, um wirtschaftlichen Wohlstand weiterhin zu sichern? Hier wurde auf die Operation Atalanta verwiesen. Doch wer soll darüber befinden, was legitim und richtig ist?
Professor Dr. Wilfried von Bredow verwies auf die Tatsache, dass die verschiedenen Aspekte der „Sicherheit“ allgemein der Politik überantwortet würden. Teilweise jedoch und relativ schlaglichtartig entstünden Anti-Kampagnen , wie zum Beispiel in Teilen der Bevölkerung im Bereich Migration, bei internationalen Handelsabkommen wie TTIPTransatlantic Trade and Investment Partnership und eben auch bei internationaler militärischer Zusammenarbeit. Es gäbe eine „verfestigte Militärdistanz“.
Für Dr. Heinz-Gerhard Justenhoven, Direktor des Instituts für Theologie und Frieden ist eine unglaubwürdige Menschenrechtsrhetorik hierbei ursächlich. „Sicherheitspolitik, will sie überzeugen, muss glaubhaft und nachvollziehbar begründen, was sie tut.“ Die formulierten Kern-Interessen des Weißesbuch 2006 seien richtig aber „nicht spezifisch deutsch“. Ebenso seien sie willkürlich, ohne erkennbare innere Logik. „Weil die Realisierung verschiedener Interessen in Konkurrenz treten können, muss über Wertehierarchie und Rangfolge der Interessen nachgedacht werden. Grundlegende Normen internationalen Zusammenlebens sollten in der politischen Abwägung eine gewichtigere Rolle spielen als kurzfristige eigene Vorteile“, so Justenhoven.
Dabei ist es gerade die zwingende internationale Einbindung, die die Bundeswehr mehr als viele andere Armeen bei ihren Auslandseinsätzen kennzeichnet. Und sie hat sogar eine innere Dimension. Mit dem Verändern der gesellschaftlichen Struktur wandelt sich auch die Bundeswehr, sie wird „bunter“. Aktuell haben bereits zwölf Prozent der Soldaten einen Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Diese Integrationsleistung ist wichtig für die gesellschaftliche Verankerung der Bundeswehr aber sie bringt auch Herausforderungen mit sich. Professor von Bredow brachte es pragmatisch auf den Punkt: „Manchmal ist eben Sand im Getriebe und es wird mehr Sand geben. Dann muss man eben besser ölen.“
Hauptmann Dr. Dominik Wullers, der als Vorstandsvorsitzender des Vereins „Deutscher.Soldat.e.V.eingetragener Verein“ an der Diskussion teilnahm, ergänzte: „Diversity-Management ist nicht einfach ein Personalproblem, sondern eine Führungsaufgabe.“ Angesichts der Vertreter der christlichen Konfessionen in der Debatte forderte er die Einführung von Militärimamen bei der Bundeswehr. Das bekannte Argument, es gäbe noch zu wenige Muslime in der Bundeswehr konterte er proaktiv: „Füllen Sie Ihren Kühlschrank bevor die Gäste kommen oder erst wenn diese da sind?“
Der Generalinspekteur erinnerte daran, dass die Diskussion über Ziele und Ausrüstung der Bundeswehr schon immer wesentlicher Teil ihrer Verankerung in der Gesellschaft war.
Wie auch bei ihrer Zusammensetzung ist die Bundeswehr weiterhin ein „normaler“ Bestandteil der Gesellschaft, auch nach Aussetzung der Wehrpflicht. Eine militärische Sonderethik brauche es daher nicht, so ein Teilnehmer. Alles andere als normal sind jedoch die Herausforderungen an die Sicherheitsvorsorge, markiert durch die beiden Schlagworte „Vernetzter Ansatz“ und „Hybride Kriegsführung“. Man definiere in Deutschland, auch auf Grund der Präsenz in den Medien, Sicherheitspolitik immer noch zuvorderst militärisch. Dabei sei der militärische Aspekt zwar ein prägender aber eben nur ein Faktor im Konzert mit anderen Akteuren. Es braucht einen systematischen Ansatz im Verbund mit anderen Ressorts. Dabei wurde die Idee eines übergreifenden Ministeriums für übergreifende Sicherheitsaufgaben in die Debatte gebracht, das alle Sicherheitsakteure einheitlich und effektiv koordinieren kann.
Aus offenen und vorurteilsfreien Diskussionen über Zweck und Ziele der Bundeswehr wird sich die größte Legitimation ergeben, da waren sich die Teilnehmer einig. Daran kann sich im Anschluss die Diskussion über die pragmatischen Fragen zu personellen und materiellen Mittel anschließen. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, erinnerte während des anschließenden öffentlichen Kolloquiums an die Tatsache, dass die Diskussion über Ziele und Ausrüstung der Bundeswehr schon immer wesentlicher Teil ihrer Verankerung in der Gesellschaft war. Er hob die Bedeutung des aktuell zu erstellenden Weißbuchs hervor: „Wie wir aus der Vergangenheit wissen, schaffen wir heute erneut die Grundlage für die Wehrhaftigkeit zukünftiger Generationen.“
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