Besonders prägend für die Bundeswehr waren die Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen. Mit ihnen begann in den frühen 1990er Jahren das Engagement der Bundeswehr im Ausland.
Die ersten Beteiligungen der Bundeswehr an den damals so genannten „Out-of-area“-Einsätzen fanden im Spannungsbogen einer „Sorge vor einem Wiedererstarken Deutschlands“ und seiner „neuen Rolle in der Welt“ statt.
Mittlerer Transporthubschrauber CH-53 im Einsatz für die Vereinten Nationen während der Operation UNSCOMUnited Nations Special Commission im Irak.
Zwar forderten andere Staaten schon früh durchaus ein stärkeres Engagement des wiedervereinigten Deutschlands für den Frieden in der Welt ein. Die Trennlinie zu einem machtpolitisch bestimmt auftretenden Deutschland, das seiner eigenen sicherheitspolitischen Agenda folgen könnte, schien seinerzeit für manche Beobachter im In- und Ausland jedoch hauchdünn und diplomatisch heikel. Doch Friedenseinsätze im Rahmen der Vereinten Nationen waren und sind geeignet, einer neuen internationalen Verantwortung Deutschlands gerecht zu werden. Denn VNVereinte Nationen-Friedenseinsätze sind mit hoher völkerrechtlicher Legitimität ausgestattet und multilateral eingebettet. Zudem gaben sie der Bundeswehr die Chance, Erfahrungen in bislang ungewohnten Kriseneinsätzen zu sammeln.
Eine Transall C-160 im Einsatz für die Vereinten Nationen.
Am Anfang waren es drei weißgetünchte Hubschrauber vom Typ CH-53 und zunächst eine Transall im weißen VNVereinte Nationen-Look, die sich vom Fliegerhorst des Heeresfliegerregiments 35 in Mendig auf zur UNIKOM-Mission in den Irak machten. Ihre Aufgabe: Transport von Inspektionspersonal der VNVereinte Nationen. Zwei bis drei Transall-Flüge pro Woche führten die Bundeswehr erstmals vom Stützpunkt in Bahrain über Kuweit nach Habbaniya, rund 20 Kilometer nördlich von Bagdad.
Diplomatische Unstimmigkeiten der VNVereinte Nationen mit dem Irak verdammten hingegen die drei CH-53 zu wochenlangem Warten im türkischen Diyarbakir. Schon im April 1991 war eine andere große Hilfsaktion der Bundeswehr für irakische Kurden im türkischen Dyarbarkir angelaufen – allerdings nicht unter VNVereinte Nationen-Mandat. Unter anderem wurde hier ein Feldlazarett mit einer Kapazität von 160 Betten aufgebaut – die Dimension eines deutschen Kreiskrankenhauses.
Angetretene deutsche Blauhelmsoldaten vor dem German Fieldhospital in Phom Penh, Kambodscha.
Ein deutsches Feldlazarett war ebenso von Interesse für die VNVereinte Nationen und wurde dringend benötigt, als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 16. Oktober 1991 die sogenannte UNAMICUnited Nations Advance Mission in Cambodia (United Nations Advance Mission in Cambodia) beschloss, die später nach entsprechender Mandatierung in die UNTACUnited Nations Transitional Authority in Cambodia (United Nations Transitional Authority in Cambodia) überging.
Die Vereinten Nationen stellten ein offizielles Hilfeersuchen für den Einsatz deutschen Sanitätspersonals mit militärischer Erfahrung. Dieser Forderung kam man im November 1991 nach und entsandte zunächst ein Vorkommando, um das UNAMICUnited Nations Advance Mission in Cambodia-Personal sanitätsdienstlich zu betreuen und die Folgemission UNTACUnited Nations Transitional Authority in Cambodia vorzubereiten. Begrüßt wurden die Deutschen von der einheimischen Bevölkerung mit den Worten: „Schön, dass ihr da seid, schade, dass ihr kommen musstet“, wie ein junger Khmer seine Gefühle damals gegenüber „Bw-aktuell“ schilderte. Dieser vorbereitende Einsatz schloss im März 1992 ab.
Im Feldhospital in Phnom Penh untersucht ein Feldarzt einen Kambodschaner.
Beginnend am 22. Mai 1992 wurde ein deutsches Feldhospital in der kambodschanischen Hauptstadt Phom Penh errichtet. Für das Hospital mit der Kapazität von 60 Betten mussten mehr als 350 Tonnen Material und 130 Soldaten von Deutschland nach Kambodscha verlegt und einsatzbereit gemacht werden. Logistische Herausforderungen für die Arbeit in Kambodscha entstanden durch den wochenlangen Zeitverzug bei der Anlieferung des Sanitätsmaterials. Der klinische Betrieb wurde am 8. Juni 1992 aufgenommen. Die wenigen vorhandenen heimischen Krankenhäuser waren damals völlig überlastet. Schnell gewannen die deutschen Mediziner einen Eindruck von Kriegsverletzungen: Als erschreckend empfanden sie die hohe Zahl der Arm- und Beinamputierten. Das Land war geradezu gespickt mit Minen und Sprengfallen.
Zu den sehr bitteren Erfahrungen gehörte leider auch das erste Todesopfer der Bundeswehr im Einsatz. Feldwebel Alexander Arndt wurde während der Fahrt mit einem VNVereinte Nationen-Fahrzeug im Norden Phnom Penhs von einem Motorradfahrer erschossen.
Das erste Kontingent UNOSOMUnited Nations Operation in Somalia II bei der Fahrt im Konvoi in Somalia am 14.07.93.
Umfassende Hilfe – das war auch das Leitbild für den Einsatz des Deutschen Unterstützungsverbandes in Somalia (DtUstgVbd Somalia). Der Einsatz hatte in mehrfacher Hinsicht eine neue Qualität für Deutschland. Eingesetzt waren 1.700 Heeressoldaten in Belet Uen (Somalia), circa 600 Marinesoldaten sowie etwa 120 Soldaten der Luftwaffe in Dschibuti und Mombasa (Kenia). Die drastische Verschlechterung der Sicherheitslage in dem zerrissenen Land führte zur Einsetzung der UNITAF (Unified Task Force). Diese Überbrückungsmission, an der sich auch Deutschland beteiligte, wurde von der UNSOM II-Mission (United Nations Operation in Somalia II) abgelöst.
Beide Missionen waren vom VNVereinte Nationen-Sicherheitsrat ermächtigt, Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Waffenruhe zu unternehmen. Auch dies war eine neue Situation für die Bundeswehr. Deutschland entsandte erstmals nicht nur Sanitäter oder unterstützte mit Lufttransportkapazitäten: Zwei Sicherungskompanien, gebildet aus Fallschirm- und Gebirgsjägern sowie Kommandokompanien in Verfügungsbereitschaft waren Teil des Kontingents.
Ebenso neu: Deutsche Soldaten wurden erstmals mit „Rules of Engagement“ (RoE), den Einsatzregeln in multinationalen Einsätzen, konfrontiert. Einerseits Brunnen bauen, andererseits streng geregelte Anwendung militärischer Gewalt – wie anders war doch dieses Einsatzszenario, verglichen mit der geübten Landesverteidigung. Die Taschenkarten mit den jeweils aktuellen RoE wanderten in Somalia erstmals in die Beintaschen deutscher Soldaten.
Deutsche Blauhelmsoldaten auf dem Weg zur Transall C-160.
Von der UNUnited Nations-Luftbrücke in die belagerte Stadt Sarajevo in Ex-Jugoslawien bis zur Unterstützung der VNVereinte Nationen-Mission für Ruanda (UNAMIRUnited Nations Assistance Mission for Ruanda) von Juli bis Dezember 1994 – Deutschland engagierte sich inzwischen stark bei friedenserhaltenden oder friedensschaffenden Einsätzen. Die Bundeswehr, gegründet und aufgestellt zur Landes- und Bündnisverteidigung, lernte an den Einsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen in drei wesentlichen Bereichen. Das betraf die Ausrüstung der Streitkräfte, die Ausbildungsszenarien sowie nicht zuletzt die Rolle des Soldaten an sich, der nun auch Konfliktverhüter und Krisenbewältiger wurde. Die „neue“ Bundeswehr – gewachsen mit Friedensmissionen. Sie ist heute ohne diese ersten Einsätze und die dabei gewonnen Erfahrungen nicht vorstellbar.
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