Warum wird eine Nationale Sicherheitsstrategie erarbeitet? Was soll sie leisten? Welche Rolle spielt die Bundeswehr darin? Diese und andere Fragen zum Thema beantwortet im Folgenden Oberstleutnant i. G. Philipp Lange aus dem Verteidigungsministerium.
Was ist die erste deutsche Nationale Sicherheitsstrategie?
Zunächst handelt es sich bei der Nationalen Sicherheitsstrategie um einen Auftrag aus dem Koalitionsvertrag der an der Bundesregierung beteiligten Parteien. Dort wurde vereinbart, dass die Bundesregierung eine umfassende Nationale Sicherheitsstrategie vorlegt.
Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie verfolgt die Bundesregierung das Ziel, den Herausforderungen, die gegenwärtig und zukünftig an unsere Sicherheitspolitik nach innen wie nach außen gestellt werden, in einem umfassenden, innovativen und integrierten Ansatz, das heißt ressort- und ebenenübergreifend, zu begegnen.
Was ist das Besondere an diesem Vorhaben?
Das Vorhaben ist aus zwei Aspekten heraus besonders. Die erste Besonderheit ist die Zeit, in die die Erstellung fällt. Wir erleben seit über sechs Monaten einen durch nichts gerechtfertigten und rücksichtslosen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine mit fundamentalen Auswirkungen auf die europäische Sicherheitsordnung. Wir spüren unmittelbar in fast allen Gesellschafts- und Politikfeldern die Auswirkungen der damit verbundenen Verwerfungen, auch in Deutschland. Trotz dieser Umstände kommt die Strategie daher zum richtigen Zeitpunkt, um die notwendige Orientierung zu geben und klar zu kommunizieren, wie die deutsche Sicherheitspolitik auf die Herausforderungen „Zeitenwende“ hin ausgerichtet wird.
Eine weitere Besonderheit ist der methodische Ansatz des Erstellungsprozesses. Die Nationale Sicherheitsstrategie soll am Ende umfassende Antworten auf die vielfältigen sicherheitspolitischen Herausforderungen geben. Das geht weit über klassische verteidigungspolitische Fragestellungen hinaus und umfasst die Abwehr von Risiken im Cyberraum ebenso wie Entwicklungszusammenarbeit.
Es geht darum, ein ressortgemeinsames Bewusstsein zu schaffen und daraus abgeleitet Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Daher sind von Beginn an die verschiedenen Ressorts eng in den Erstellungsprozess eingebunden, der durch das Auswärtige Amt koordiniert wird.
Welche Rolle nimmt die Bundeswehr bei dieser Nationalen Sicherheitsstrategie ein?
Die Bundeswehr garantiert die Freiheit und Sicherheit Deutschlands, seiner Bevölkerung und unserer Verbündeten. Dies wird vor allem durch eine moderne und kampffähige Bundeswehr ermöglicht. Sie ist ein integrales und unerlässliches Instrument einer werteorientierten und multilateral ausgerichteten Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr versteht sich hier als Kerninstrument eines neuen Verständnisses von „Integrierter Sicherheit“, die die Nationale Sicherheitsstrategie im Detail ausbuchstabieren und mit Leben befüllen wird.
Welche Herausforderungen werden für unsere Streitkräfte aus der Nationalen Sicherheitsstrategie erwachsen?
Das gegenwärtige sicherheitspolitische Umfeld zeigt, dass es richtig war, die Bundeswehr bereits in den letzten Jahren auf die Landes- und Bündnisverteidigung zu refokussieren. Die Fähigkeiten und Strukturen der Bundeswehr werden durch die „Zeitenwende“ nun noch stärker auf die Landes- und Bündnisverteidigung ausgerichtet. Das zeigen jetzt schon unsere verstärkten Beiträge an der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Ostflanke.
Diese Aufgaben können nur gemeinsam mit den Verbündeten insbesondere in der NATONorth Atlantic Treaty Organization entwickelt und erfüllt werden. Die Bundeswehr übernimmt hier auch im Bündnis eine militärische Führungsrolle. Hier werden wir auch zukünftig gezielt die Fähigkeiten bereitstellen, die Deutschland zu einem militärischen Anlehnungspartner in Europa machen.
Gleichzeitig wird die Bundeswehr weiterhin einen angemessenen Beitrag zu Aufgaben auf dem Gebiet der internationalen Krisenprävention und des Krisenmanagements leisten. Darüber hinaus wird die Bundeswehr im „Integrierten Ansatz“ auch Beiträge beim Ausbau und der Weiterentwicklung strategischer Partnerschaften als Mittel der Verteidigungspolitik und Verteidigungsdiplomatie erbringen. Eine verstärkte Präsenz im Indo-Pazifik bei internationalen Übungen ist hierfür ein gutes Beispiel.
Welchen Stellenwert hat die Nationale Sicherheitsstrategie im Hinblick auf den sicherheitspolitischen Kontext, in dem Deutschland in diesen Zeiten steht?
Die Nationale Sicherheitsstrategie wird das oberste sicherheitspolitische Dachdokument der Bundesregierung sein. Damit bildet sie zukünftig die Vorgabe für die strategische Ausrichtung und inhaltliche Gestaltung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Das heißt aber nicht, dass die Strategie alle Fragen im Detail klären wird. Vielmehr wird die Strategie es den Ressorts ermöglichen, die gemeinsam vereinbarten Ziele in eigener Verantwortung umzusetzen.
Deshalb ist es wichtig, dass die Nationale Sicherheitsstrategie eine Orientierung beziehungsweise Erklärung nach innen und außen formuliert, was die „Zeitenwende“ für Deutschland bedeutet. Sie wird auch die Richtung vorgeben, wie Deutschland in verantwortungsvoller und gestaltender Rolle in der Mitte Europas die erforderlichen Beiträge zur Sicherheit und Freiheit Europas und zur Förderung seiner Bündnisse (NATONorth Atlantic Treaty Organization, EUEuropäische Union) leisten wird.
Wie ist der gesellschaftliche Stellenwert dieses Vorhabens einzuordnen?
Es soll eben nicht nur eine Strategie der Bundesregierung werden. Uns ist wichtig, dass die Menschen in unserem Land insgesamt die Grundorientierung der künftigen Strategie mittragen. Daher sucht die Bundesregierung gezielt den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, denn um deren Sicherheit geht es.
Wir sind zudem in einem engen Austausch mit Experten und Expertinnen aus Wissenschaft und Denkfabriken. Nicht zuletzt tauschen wir uns intensiv mit unseren Verbündeten und Partnern aus, um zu erfahren, welche Erwartungen sie an uns haben und wo wir von deren Strategieprozessen und Überlegungen profitieren können. Unsere nationale Sicherheitsstrategie muss bei unseren Partnern und Verbündeten anschlussfähig sein.
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