Herr General Zorn, wie arbeitet eigentlich ein Soldat im Homeoffice?
Das ist sehr unterschiedlich. Hier im Ministerium arbeiten die meisten Abteilungen in zwei Gruppen in einem 14-tägigen Wechselrhythmus. In der Truppe sind derzeit alle Lehrgänge ausgesetzt, die keine Laufbahn- oder Einsatzrelevanz haben. Wir haben zwischen 20 und 40 Prozent Tagespräsenz, die anderen Mitarbeiter sind im Homeoffice. Auf diese Weise können wir unseren Auftrag weiter erfüllen und zugleich einer Ausbreitung des Virus entgegenwirken.
Wird Deutschland denn noch beschützt, wenn die Kasernen leer sind?
Auf jeden Fall. Erstens sind die Kameradinnen und Kameraden jederzeit abrufbar. Zweitens: Wir sehen ja gerade jetzt, dass die Bundeswehr flexibel und einsatzbereit ist. Schauen Sie sich allein unseren Beitrag zur Corona-Bekämpfung an: 15.000 sind bei den „helfenden Händen“ dabei, 17.000 bei der Sanität.
Fehlen die nicht an anderer Stelle?
Die Bundeswehr ist auf den Einsatz in Krisensituationen ausgerichtet. Das ist am obersten Ende der Skala natürlich der bewaffnete Konflikt. Aber wenn es jetzt darum geht, in der Corona-Pandemie zu unterstützen, dann ist das – im Rahmen des Grundgesetzes – eben auch unser Auftrag. Ausgefallene Übungen oder Lehrgänge kann man nachholen.
Einiges muss ja aber stattfinden. Wie geht das: Sicherheitsabstand im Panzer?
Die Ausbildung gelingt auch im Panzer, ohne dass man Gefahr läuft, das Virus zu verbreiten. Unsere Methode nennen unsere Sanitäter Kohortenbildung: Eine Panzerbesatzung von drei bis vier Frauen und Männern durchläuft den gesamten Übungsplatzaufenthalt gemeinsam. Sie sind gemeinsam untergebracht, gehen gemeinsam zum Essen, sitzen gemeinsam im Panzer. Und das alles über 14 Tage auf dem Truppenübungsplatz. Danach gehen sie nochmal in eine isolierte Unterbringung, ehe sie zur Familie oder in die Öffentlichkeit zurückkehren.
Das heißt, dass die Soldaten privat einen ziemlich hohen Preis zahlen.
Stimmt. Das gilt im Übrigen auch für die Auslandseinsätze: Jeder, der in den Einsatz geht, muss vorher 14 Tage in Quarantäne. Und je nach Regeln im Einsatzland vor Ort nochmal. Wir reden also über zusätzliche vier bis sechs Wochen. Unsere Soldatinnen und Soldaten wissen aber sehr gut, warum sie diese Erschwernisse in Kauf nehmen und sind unverändert engagiert bei der Sache.
Wie viele Infektionen gibt es in der Truppe?
Wir sind bislang gut durchgekommen. Der aktuelle Stand ist: 70 infizierte Soldaten zu Hause, drei im Krankenhaus, 232 Verdachtsfälle.
Hätten Sie gedacht, dass Sie mal vor allem mit der Bewältigung einer Pandemie beschäftigt sein würden?
Das haben wir in der Größenordnung nicht vorhergesehen. Aber das zeichnet die Bundeswehr aus, dass wir mit solchen unvorhergesehenen Dingen umgehen müssen und können. Die Truppe ist besonders motiviert, weil sie einen direkten Beitrag zur Unterstützung während der Pandemie leisten kann.
Welche Anfragen auf Amtshilfe mussten Sie ablehnen?
Zunächst müssen wir bei jedem Amtshilfeantrag prüfen, ob er rechtlich zulässig ist. Das ist im Artikel 35 des Grundgesetzes geregelt. Außerdem müssen bei uns die Kapazitäten verfügbar sein. Wichtig ist: Wir übernehmen in dieser Pandemie keine hoheitlichen Aufgaben im Inneren. Wir patrouillieren nicht bewaffnet durch die Straßen. Unsere Krankenhäuser sind bereits seit jeher in die öffentliche Gesundheitsversorgung integriert. Rund 80 Prozent der Patienten sind Zivilisten, das galt auch schon vor Corona. Besonders gut helfen können wir im Bereich Logistik, also bei der Bereitstellung von Transportkapazitäten, gesicherten Lagerflächen und ganz allgemein mit „helfenden Händen“.
Es gab Kritik daran, dass gut ausgebildete Soldaten jetzt für die Gesundheitsämter Telefondienste schieben …
Bevor die Bundeswehr kommt, müssen andere Unterstützungsmöglichkeiten geprüft worden sein. Aber wenn irgendwo 20 Leute gebraucht werden, dann sind unsere Soldatinnen und Soldaten eben morgen da. Ohne großen bürokratischen Aufwand, Aushandeln von Betriebsvereinbarungen und Rahmenverträgen.
Soldaten sind nun quasi wieder als Brunnenbauer im Inneren unterwegs. Dabei gab es gerade Anstrengungen, auch den kämpfenden Soldaten besser in der Gesellschaft zu verankern. Droht da ein Rückschlag?
Nein, das glaube ich nicht. Die Aufgaben der Bundeswehr sind nun mal vielfältig. Die Sichtbarkeit zu Hause im Rahmen der Amtshilfe ist gerade natürlich größer. Aber wir gewährleisten auch weiterhin die bewaffnete Bündnisverteidigung in der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Die zwölf Auslandseinsätze laufen parallel ebenfalls weiter.
Apropos Sichtbarkeit: Was haben die kostenlosen Bahnfahrten für Soldaten gebracht?
Die Soldaten haben das begeistert aufgenommen. Sie nutzen das, und sie bekommen positive Rückmeldungen. Selbst in den Großstädten, wo man vielleicht Kritik vermuten würde, läuft es reibungslos.
Aber der Weg zu amerikanischen Zuständen, wo vor jedem Fußballspiel den Truppen gedankt wird, ist noch weit.
Ich persönlich würde das gar nicht unbedingt wollen. Unsere Gesellschaft ist so nicht aufgestellt; wir brauchen keine Überbetonung. Es gibt außerdem noch viele andere Berufe, die etwas tun für die Gesellschaft, das sehen wir doch gerade jetzt in der Corona-Krise.
Schauen wir auf die Einsätze. In Afghanistan ist die Bundeswehr nun seit 18 Jahren. Wie geht es weiter?
Das wird unter anderem von den weiteren US-Gesprächen mit den Taliban abhängen. Jetzt verlangsamt Corona das zusätzlich. Wenn die USA Afghanistan verlassen, inklusive Lufttransport und allen anderen Unterstützungskräften, dann ist für uns militärisch dieses Mandat beendet. Wir haben immer gesagt: Wir gehen gemeinsam rein, und wir beenden das Engagement auch gemeinsam. Ich rechne im Sommer mit einer politischen Entscheidung.
Weiten wir den Blick noch etwas: Wer ist eigentlich der Gegner, Russland oder China?
In der NATONorth Atlantic Treaty Organization schauen wir nicht in eine und auch nicht in zwei Richtungen, wir sprechen von 360 Grad. Die osteuropäischen Länder haben eine besondere Perzeption mit Blick auf Russland. Diese Sichtweise müssen wir verstehen, wir sind in der NATOunverändert unseren Partnern verpflichtet. Bei China sehe ich nicht den rein militärischen Aspekt, eher einen gesamtstrategischen, im Schwerpunkt auch wirtschaftspolitischen Ansatz. China verfolgt eine langfristig angelegte strategische Linie. In der Corona-Krise in Europa war deshalb auch zu beobachten, wie sich China vielfach als Helfer positioniert hat. Ganz sicher war die humanitäre Geste unterlegt mit einer strategischen Botschaft. China ist weltweit aktiv. Und wir müssen uns bewusst sein: Überall, wo ein Vakuum entsteht, wird es durch einen Akteur ausgefüllt.
Bei der Entscheidung über die Nachfolge der Tornado-Kampfflieger geht es auch um europäische Industrie-Interessen. Zu sehr?
Der Tornado gelangt an das Ende seiner wirtschaftlichen Nutzung. Spätestens im Jahr 2030 wollen wir ihn aus der Nutzung nehmen. Es geht deshalb darum, dass alle Fähigkeiten, die der Tornado heute hat, mit in die Zukunft genommen werden. Das schaffen wir durch den vorgeschlagenen Kompromiss: In der Mehrzahl mit der Beschaffung neuer Eurofighter, die die europäische Rüstungsindustrie stärken, und dem Kauf marktverfügbarer Systeme, um unsere NATONorth Atlantic Treaty Organization-Verpflichtungen auch über das Jahr 2030 hinaus sicherzustellen. Der Truppe kommt es darauf an, dass das zur Verfügung gestellte System funktioniert und sie damit gut ihren Auftrag erfüllen kann.
Die Tornado-Nachfolge hat sich zu einer Koalitionsdebatte über die nukleare Teilhabe Deutschlands ausgeweitet. Gibt es schon besorgte Nachfragen von NATONorth Atlantic Treaty Organization-Kollegen?
Nein. Für mich sind die Grundlagen das Weißbuch für Sicherheitspolitik und der Koalitionsvertrag, da ist die nukleare Teilhabe klar geregelt. Alles andere ist ein normaler politischer Diskurs.
Was halten Sie denn inhaltlich davon?
Wir sollten die nukleare Teilhabe in der NATONorth Atlantic Treaty Organization weiterhin erfüllen, sie ist eine realistische Vorsorge für unsere Sicherheit. Über die Teilhabe am NATONorth Atlantic Treaty Organization-Nuklearschirm sind wir in die entsprechenden Prozesse eingebunden. Man erlebt ja an anderer Stelle, dass man nichts steuern kann, wenn man nicht dabei ist. Und wenn man die Weltlage betrachtet, ist es wichtig, in Nuklearfragen eine Mitsprache zu haben.
Kennen Sie eigentlich Eva Högl?
Nicht persönlich.
Was halten Sie von der Entscheidung, die SPDSozialdemokratische Partei Deutschlands-Bundestagsabgeordnete zur Wehrbeauftragten zu machen?
Das Amt des Wehrbeauftragten ist weltweit etwas Einzigartiges, und wir legen großen Wert auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Rückblickend kann ich sagen, dass ich mit jedem der bisherigen Wehrbeauftragten gute Erfahrungen gemacht habe.
Dass die ausgewiesene Innenpolitikerin Högl sich bisher nicht als Bundeswehr-Spezialistin hervorgetan hat, ist kein Problem?
Jeder, der in der Politik tätig ist, übernimmt auf seinem Posten Verantwortung. Für mich ist wichtig, dass die Wehrbeauftragte ein Ohr für die Anliegen unserer Soldatinnen und Soldaten hat und sich konstruktiv darum kümmert.
Sie lieben Überraschungsbesuche bei der Truppe. „Jungbrunnen für Büromenschen“ haben Sie das mal genannt. Das fällt ja jetzt wegen Corona aus. Vermissen Sie es?
Im Moment muss ich Besuche in der Tat ankündigen, sonst fahre ich irgendwo hin, und die meisten Leute sind gerade im Homeoffice. Der Überraschungsbesuch ist für mich die beste Form der Dienstaufsicht überhaupt. Ich reduziere den Aufwand, der zur Vorbereitung oft betrieben wird, und die Soldaten empfinden es als Vertrauensbeweis.
Sie hatten gerade Zweijähriges im Amt. Wie lange machen Sie noch weiter?
Die Amtszeit des Generalinspekteurs ist ja nicht festgelegt. Die einzige definierte Grenze ist das gesetzliche Rentenalter, bis dahin sind es noch ein paar Jahre. Ich sag mal so: Ich gehe jeden Morgen sehr gerne zum Dienst.
Erstveröffentlichung: Neue Berliner Redaktionsgesellschaft, die Fragen stellte Ellen Hasenkamp
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