Keynote des Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Volker Wieker, anlässlich des Kolloquiums Perspektiven Bundeswehr in der Gesellschaft im Rahmen des Outreach Weißbuch 2016 in Berlin am 3. September 2015.
Damen und Herren Abgeordnete, Herr Wehrbeauftragter, sehr verehrte Damen, meine Herren,
ich freue mich sehr, heute im Rahmen dieses öffentlichen Kolloquiums zum Weißbuch zu Ihnen zu sprechen und auch selbst einige Gedanken zum Thema Bundeswehr und Gesellschaft beitragen zu dürfen.
Ich kenne nicht den Verantwortlichen für die Choreographie, aber wohl eher zufällig geschieht dies genau 60 Jahre nach dem eine demokratische Bundesrepublik die Bundeswehr nach ihren Vorstellungen geschaffen hat.
Immerhin 60 Jahre!
Und noch immer sprechen wir, wie im vorangegangenen Workshop, von „Spannungsfeldern und komplexen Beziehungsgeflechten“ zwischen Bundeswehr und Gesellschaft.
Warum tun wir das und erachten es für notwendig?
Ein Grund dafür ist recht offensichtlich, ja, entfaltet nahezu imperativen Charakter: Der Einsatz von Streitkräften bedeutet in extremis den Einsatz militärischer Gewalt. Es geht dabei um Verwundung und Tod, um Töten und getötet werden, um Krieg und Frieden – sei es eher individuell oder kollektiv empfunden – und natürlich um alle tatsächlichen und gefühlten Kategorien dazwischen.
Themen also, die für eine friedliebende Gesellschaft per se Zumutungen sind. Und erst recht für ein Volk, das im 20. Jahrhundert durch Krieg unermessliche Schuld auf sich geladen hat und in der Folge selbst Zerstörung, Vertreibung und Tod erleiden musste.
Wir haben eben keine ungebrochene politische, strategische und militärische Kultur. Und das gilt für die Selbstwahrnehmung wie die Außenansicht gleichermaßen. Aber wir gehen auch damit um, – und wie wir das tun, verdient durchaus Respekt und Anerkennung, wenn man Avi Primor in seiner Rede vor dem Parlament anlässlich des Volkstrauertages Glauben schenkt.
Was wir allerdings haben, sind bedeutende und gleichermaßen verpflichtende Traditionslinien: Die preußischen Reformer, der militärische Widerstand und vor allem: Unsere eigenen sechs Jahrzehnte als Bundeswehr.
Und die dürfen durchaus auch ein wenig Anlass zu wohlverstandenem Stolz sein. Kollektive Wehrhaftigkeit gegen Aggression und Gewalt ist aber auch ohne die historische Dimension ein Thema, mit dem sich unsere Bürger eher widerwillig beschäftigen. Vor allem, wenn sie sich gerade sicher fühlen.
Nach einer aktuellen Bevölkerungsumfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaft fürchten wir Umweltzerstörung und Klimawandel persönlich mehr, als den internationalen Terrorismus oder fremde Aggressoren.
Allerdings steht diese Empfindung einer nationalen Nabelschau der Lektüre eines historischen Weltatlasses gegenüber, die eine andere Menschheitserfahrung überliefert.
Sie zeugt von willkürlicher Grenzziehung und -verschiebung, von der Entstehung und Fragmentierung von Staaten, von hegemonialen, ethnischen und religiösen Konflikten, und jüngst eben nicht-staatlichen Akteuren, die ihre Macht ausschließlich über die Kontrolle von Menschen auszuüben versuchen.
Für die Gesellschaften waren und sind es Katastrophen, die – in der Rückschau allemal –, oft vermeidbar erscheinen. Doch auch Platon, Macchiavelli und Clausewitz verfassten Ihre Lessons Learnt immer erst nach Niederlagen.
Und solche Erkenntnis findet im Übrigen auch in jüngster Zeit ihre Bestätigung, wenn durch schlechte Regierungsführung, Korruption und Misswirtschaft Staaten und Gesellschaften in eine Instabilität abrutschen, die ihre innere und äußere Wehrhaftigkeit gefährdet und damit zu leichten Opfern von Infiltration und Intervention staatlicher und nichtstaatlicher Akteure macht.
Ich nenne nur Libyen und Syrien, Irak und Mali aber durchaus eben auch die Ukraine – mit Folgen, die weit über diese Länder hinauswirken.
Im Grundgesetz verspricht der deutsche Staat, es besser zu machen und seine Bürger zu schützen. Das ist ein unbefristeter und vor allem umfassender Anspruch, der die Beurteilung dessen, was dafür angemessen ist, genauso bewusst offen lässt. Und so, wie wir jetzt von der Vorsorge jener leben, die in den 70er und 80er Jahren die Sicherheitsphilosophie in konkretes Handeln kleideten und unsere Flugzeuge, Schiffe und Panzer beschafften, legen wir auch heute die Grundlagen für die Wehrfähigkeit künftiger Generationen.
Darin liegt im Übrigen auch die Sinnhaftigkeit eines Weißbuchprozesses. „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben“.
So scheinbar lapidar, wie es Artikel 87a des Grundgesetzes ausdrückt, kann Sicherheitsvorsorge formuliert sein. Und dennoch ist es gerade der Haushaltsplan, der mehr als andere Regierungsdokumente gesellschaftliche und politische Prioritäten definiert. Nicht von ungefähr ist dessen Aufstellung und Indossierung in den Niederlanden der „Prinsentag“ und mithin ein gesellschaftspolitisches Ereignis.
Die Amplituden seiner Entwicklung in Deutschland zeigt eine kurze Rückschau:
Den Anfang machte die Wiederbewaffnung, als Westdeutschland zehn Jahre nach Kriegsende seine Souveränität gerade erst wieder erlangt hatte. Und er erstand aus der Forderung unserer Verbündeten, dass auch wir einen signifikanten Beitrag zur Verteidigung des demokratischen Europas leisten sollten. Daraus – und nicht aus schöngeistigen Überlegungen – entwickelte sich im Übrigen auch die Wehrform: Eine 500.000 Mann Armee, war nur mit einer verpflichtenden Einberufung zu alimentieren.
Populär war das damals gewiss nicht. Im Gegenteil: Der innenpolitische Widerstand war heftig. Zu jung war die Erinnerung an den vergangenen Krieg, zu groß auch die Angst, eine vermeintliche Chance auf Wiedervereinigung zu gefährden. Und natürlich spielten auch die hohen Kosten im weithin zerstörten Deutschland mit seinen Millionen Vertriebenen eine prominente Rolle. In den 70er und 80er Jahren erlebten wir eine Hochzeit des Kalten Krieges und mithin des Wettrüstens.
Während die Sirenen an öffentlichen Gebäuden regelmäßig den ABCAtomar, Biologisch, Chemisch-Alarm probten und der Bevölkerung die Gefahrenlage auch akustisch nahebrachten, betrug der westdeutsche Verteidigungshaushalt regelmäßig 20% des Bundeshaushalts und 2-3% des Bruttoinlandprodukts, oft sogar mehr.
Aber nur vermeintlich lässt solch hoher finanzieller Aufwand auf eine breite Akzeptanz der Streitkräfte schließen.
Tatsächlich aber war das Gegenteil der Fall. Mit Friedensmärschen protestierten Millionen Menschen gegen den NATO-Doppelbeschluss und die Stationierung von Pershing II Raketen, allein im Bonner Hofgarten waren es 1983 500.000 Menschen. Soldaten trugen damals in der Öffentlichkeit keine Uniform – weil man Pöbeleien fürchtete.
Wo stehen wir heute?
Nach einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage erfährt die Bundeswehr eine sehr hohe Wertschätzung. Kontinuierlich sagen 75%-80% der Befragten bereits seit der Jahrtausendwende, sie hätten ein positives Verhältnis zur Bundeswehr; 82% sind jetzt der Ansicht, die Bundeswehr sei ein normaler Teil der Gesellschaft. Und auch um unsere öffentlichen Gelöbnisse ist sprichwörtliche Stille eingekehrt.
Das ist für mich zunächst erfreulich. Allerdings weiß ich auch um die feinherben Geschmacksnoten, die andernorts in der Interaktion zwischen Staat und Gesellschaft Wirkung entfalteten: Der Verteidigungshaushalt sank seit den neunziger Jahren fast gegenläufig zum Akzeptanzgewinn der Bundeswehr.
Ich versteige mich nicht, darin eine Kausalität zu sehen. Aber unser Budget wird 2016 nach NATO-Kriterien rund 1,17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und 11,6% des Bundeshaushalts ausmachen.
Das ist weniger als die Hälfte dessen, was allein West-Deutschland in den 80er Jahren investierte. Allerdings nun für eine Freiwilligenarmee von 185.000 Soldatinnen und Soldaten. Der Grund ist – richtigerweise eine Friedensdividende – nach deren Liquidation unsere Zuversicht auf Frieden nunmehr ein wenig zu bröckeln beginnt. Fragt man die Bürger vor diesem Hintergrund, was die Bundeswehr heutzutage können soll, so wählt die große Mehrheit seit vielen Jahren neben der Landes- und Bündnisverteidigung das militärische Krisenmanagement aus der Farbpalette und – fast gleichrangig – humanitäre Einsätze im Rahmen der responsibility to protect. Militärisch sind alle auf ihre Weise anspruchsvoll.
Aber dennoch scheinen solche Aussagen dem schwindenden Rückhalt für einige Auslandseinsätze, insbesondere des inzwischen beendeten ISAFInternational Security Assistance Force Einsatzes in Afghanistan, zu widersprechen. Offenbar ein Hinweis, dass eine allgemeine Unterstützung für die Bundeswehr im gesamten Lastenheft nicht automatisch auch die Zustimmung zu besonderen Einsätzen einschließt.
Aus Sicht der Soldaten ist dies allerdings eine beruhigende und durchaus vernünftige Haltung unseres Souveräns. Denn auch die Staatsbürger in Uniform wünschen sich, dass ihre Einsätze gut begründet sind – und das schließt den moralischen Aspekt natürlich ein.
Nur so erlangen wir Rückhalt in Parlament und Bevölkerung. Ganz sicher weist es auf ein Gestaltungsfeld der Politik, dem aber auch wir Soldaten etwas mehr Authentizität und Nachdruck verleihen können.
Und es gilt vor allem für den Diskurs mit anderen Teilen und Institutionen der Gesellschaft, allen voran den Kirchen, den Gewerkschaften, der Wirtschaft und natürlich auch all jenen Gruppen, die sich für den Frieden engagieren.
Denn Fragen nach
Sie bewegen viele Kameraden ganz individuell in ihrem persönlichen Umfeld. Das weiß nicht nur jene Neigungsgruppe, die diesen Themen professionell verbunden ist – sondern beispielsweise auch unsere Militärgeistlichen, aus unzähligen Gesprächen mit unseren Soldaten im Einsatz.
Meine Damen und Herren,
die Fragen einer friedlichen und stabilen Ordnung in Europa und Welt, aber auch, wie die deutsche Sicherheitspolitik konkret Gestalt und Wirkung entfaltet, welche Interessen und Ziele unser Land verfolgt, wo es an der Seite seiner Verbündeten als Schutz- und Ordnungsmacht gebraucht wird,- und das ganz im Sinne des Artikel 24 unseres GG – wo es Verantwortung, – auch mit militärischen Mitteln –, übernimmt, diese Fragen werden seit 1969 von der Bundesregierung in ihren Weißbüchern beantwortet.
Allerdings macht die bloße Existenz einer sicherheitspolitischen Verortung die konkrete Anwendung militärischer Gewalt nicht weniger heikel. Vielmehr bedarf es daher auch einer ethischen Bindung, einer gesellschaftlichen getragen Werteordnung und zwar für kollektives und individuelles Handeln.
Wer das nicht konzediert und das Militärische auf seine Funktionalität reduziert, macht es zum seelenlosen Erfüllungsgehilfen des Politischen. Das wird niemand wirklich wollen.
Denn richtig und falsch liegen im Einsatz sehr nah beieinander und bereiten ganz häufig ein Dilemma, mit dem wir unsere Soldaten nicht allein lassen dürfen – auch wenn sie es am Ende dann doch sind. Die Bundeswehr bemüht sich, unsere Soldaten und die militärischen Führer auf solche Situationen vorzubereiten.
Die Mittel sind eine moderne Ausstattung und die Beherrschung des militärischen Handwerks, eine bewährte, aber auch weiter zu entwickelnde Führungsphilosophie und natürlich die Innere Führung. Sie gehört gewissermaßen zum genetischen Fingerabdruck der Bundeswehr. Denn sie begründet einen sehr individuellen Anspruch, den wir – jeder Soldat – in uns tragen müssen, und nicht als Organisation wie eine Monstranz vor uns her.
Schließlich muss sie sich im Einsatz dort bewähren, wo uns ein Gegner auch in asymmetrischer Aufstellung in hochkomplexen Szenaren ohne jegliche Bindung an das humanitäre Völkerrecht mit allen Mitteln bekämpft.
Sie muss wirken, wenn Soldaten in der Zusammenarbeit mit anderen Nationen und Partnern, in fremden Kulturen und der persönlichen Erfahrung von Leid, Aggression und Wut über eigenes Handeln entscheiden.
Das klingt banal, ist aber unendlich schwieriger, wenn es die Gefährdung der eigenen Unversehrtheit und das Schicksal des Gegenüber einschließt. Es meint, sich auch in solchen Szenaren zu besinnen, dass man als Soldat oder Soldatin der Bundeswehr stets und über allem unserer Werteordnung und dem Grundgesetz verpflichtet bleibt. Wer also glaubt, unter Gefechtsbedingungen verliere die Innere Führung an Bedeutung, irrt gewaltig. Im Gegenteil:
Sie ist Haltung und Einstellung, – man muss sie vorleben und leben –. Wie sonst könnte ich das Gewissen, Recht und Gesetz über den blinden Gehorsam stellen, die Menschenwürde des Gegenübers achten und wahren, das eigene Handeln einer moralischen Instanz unterordnen. Daher ist es Unsinn, sie nur an die Wehrpflicht zu koppeln.
Vielmehr galt und gilt sie in ihrem „konstitutionellen Rang“ für jeden Soldaten und erlaubt auch in keiner Weise eine Entpflichtung durch neue Technologien wie Robotik oder durch künstliche Intelligenz getriebene Automatismen.
Wer solche Zweifel hegt, berührt zutiefst unser Selbstverständnis als Soldatin und Soldat der Bundeswehr.
Meine Damen und Herren,
bei allen Konstanten möchte ich aber auch die spürbaren Veränderungen nicht verschweigen. Zu ihnen gehört, dass eine Freiwilligenarmee in dieser Ausprägung weder die Wahrnehmung und Präsenz in der Fläche noch den Durchlauf an jungen Menschen bietet, der wirklich breite Teile der Gesellschaft erreicht und einen Blick ins Innenleben der Truppe ermöglicht.
Die Wahrnehmung der Bundeswehr wird heute vor allem medial vermittelt und damit vornehmlich aus der Außenansicht eines Interessenportfolios, das sich nicht zwangsläufig mit dem Unsrigen deckt.
Das muss nicht beunruhigen, sondern sollte alle ermuntern, mit Augenmaß und Gelassenheit falschen Eindrücken entgegen zu wirken.
Mal begehrt, wie beim Hochwasser oder der Flüchtlingshilfe, mal tragische Empathie zu unseren Einsätzen, mal die Deppen, wenn es um Besenstile und tatsächliche oder vermeintliche Defizite unserer Einsatzbereitschaft geht:
Jedenfalls spiegelt es nur mit großen Abstrichen die Wirklichkeit unseres soldatischen Engagements. Vielmehr zeigt sich, wie sehr sich die Erfahrungs- und Erlebniswelt der Soldaten von jener der deutschen Bevölkerung entfernt hat. Es greift nicht mehr das Korrektiv des eigenen Erlebens und wir nähern uns in gewisser Weise dem Status der „Politik“, die sich daher selbst um die mediale Vermarktung bemüht, damit nicht nur „über“ sie berichtet wird. Daher suchen wir nach Verbündeten und schauen auf die Gesellschaft, um Solidarität mit jenen zu erlangen, deren „Recht und Freiheit wir tapfer zu verteidigen“ geschworen haben.
Es geht also viel weniger um Integration, denn dort kommen wir ja alle her, als schlicht um die Anerkennung dessen, was wir tun, – und zwar individuell wie auch gemeinschaftlich.
Dabei ist hervorzuheben, dass die Bundeswehr den gesellschaftlichen Wandel in unserer Bevölkerung viel stärker repräsentiert, als es allgemein bekannt ist.
Denken Sie an die Deutsche Einheit und wie sie in der Bundeswehr getrieben und verinnerlicht wurde. Hier unterlasse ich bewusst einige Vergleiche. Frauen sind seit 2001 zu allen Laufbahnen der Bundeswehr zugelassen und durchdringen immer mehr Truppenbereiche – wenngleich noch in zu kleiner Zahl. Menschen mit Migrationshintergrund, breiten kulturellen und sprachlichen Qualifikationen sowie anderen als christlichen Konfessionen dienen in wachsender Zahl in der Bundeswehr.
Pragmatismus, Weltoffenheit und die Toleranz unterschiedlicher Lebensentwürfe sowie die große Affinität zu sozialen Netzwerken und neuen Technologien prägen junge Soldatinnen und Soldaten genauso wie ihre zivilen Altersgenossen. Ihre Qualifikation und ihr Ausbildungsniveau sind ebenbürtig.
Die Herausforderungen angesichts dieser Phänomene sind andere, aber sie gelten gleichermaßen für Gesellschaft:
Solche Fragen erscheinen weit weg von der Sicherheit Deutschlands und dem, was wir von unserem Weißbuch erwarten. Aber wer die Sicherheitspolitik und die Zukunft der Bundeswehr, ihren Auftrag und ihre Struktur, ohne die Menschen denkt, für die und von denen sie gestaltet wird, greift sicher zu kurz.
Daher danke ich für dieses Kolloquium und freue mich auf das Panel!
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