Géza Andreas von Geyr über Vernetzung europäischer Armeen, Bedrohungsbefindlichkeiten der Bevölkerung, Einsatzentscheidungen und hybride Kriegsführung. Die erste Arbeitsgruppe tagte kürzlich zum internationalen Umfeld der deutschen Sicherheitspolitik. Die zweite Arbeitsgruppe tagt am 28. April zum Themenfeld Bündnisse und internationale Partnerschaften in Brüssel.
Das Bundesministerium der Verteidigung erstellt bis 2016 ein neues Weißbuch, in dem die Leitlinien deutscher Sicherheitspolitik formuliert werden. Sicherheitsexperten aus Politik, Bundeswehr und der Zivilgesellschaft arbeiten beim sogenannten „Weißbuch-Prozess“ zusammen. Diesen Prozess moderiert der Leiter der Abteilung Politik im Bundesministerium der Verteidigung, Géza Andreas von Geyr.
Im Gespräch mit der Chefredakteurin der Redaktion der Bundeswehr, Andrea Zückert, erläutert von Geyr die offene Diskussion, in der sich Experten und weite Teile der Gesellschaft einbringen.
Zückert: Warum ist ein neues Weißbuch wichtig? Um den Bürgern die gesellschaftlichen und politischen Belange der Bundeswehr nahezubringen? Oder um einen politischen Diskurs zu führen?
Von Geyr: Ein Weißbuch ist das entscheidende strategische Grundlagendokument für die Bundeswehr – und damit auch für unsere Tätigkeit hier im Verteidigungsministerium. Es gebietet die Aktualität – weil sich das sicherheitspolitische Umfeld ja stark ändert – dass man von Zeit zu Zeit das Weißbuch überarbeitet, die strategischen Grundlagen zurechtlegt, auf deren Basis man Verteidigungspolitik macht, für die Bundeswehr plant, sie führt und auch in Einsätze bringt – mit dem man also den ganzen Aktionsradius der Bundeswehr ausleuchtet.
Das letzte Weißbuch ist gute zehn Jahre alt, also ist es jetzt wirklich Zeit. Das ist die eine Seite. Das Weißbuch wirkt aber auch in die Öffentlichkeit. Es gibt uns Selbstvergewisserung, wo wir stehen – und wo wir hinwollen. Es ermöglicht, verstärkt über Sicherheitspolitik in ihren weichen und auch in ihren harten Faktoren zu diskutieren – und damit über die Bundeswehr als ein Instrument der vernetzten Sicherheit Deutschlands.
Zückert: Wie kann man dem Bürger, der vielleicht skeptisch zur Bundeswehr steht, begreiflich machen, wie wichtig eine starke Verteidigungsarmee ist? Ist ein Weißbuch das richtige Instrument?
Von Geyr: Das Weißbuch ist ein solches Instrument. Der Diskussionsprozess selbst, der zum neun Weißbuch führen soll, ist ein anderes Instrument. Insofern glaube ich, dass der sogenannte Weißbuch-Prozess, den wir jetzt begonnen haben, fast genauso wichtig ist wie später das neue Weißbuch selbst. Denn mit diesem Prozess starten wir einen breiten Diskurs mit vielfältigen Aktivitäten, wir wollen ein Maximum an Expertise aufnehmen. Das ergibt eine Wechselwirkung auch in die Gesellschaft hinein.
Zückert: Was versprechen Sie sich von diesem offenen Prozess?
Von Geyr: Der Grundgedanke ist: Wenn man heute strategisch in die Tiefe schauen möchte, dann muss man mehr denn je die Breite des Fachwissens einbeziehen. Der Blickwinkel muss sich weiten. Das versprechen wir uns durch diesen inklusiven Prozess. Wir wollen möglichst viele gute, haltbare, weiterführende Gedanken: zur Sicherheitspolitik, zur Verortung der Bundeswehr, zu Plausibilitäten, zu Trends, zu Perspektiven. Daraus wollen wir dann Gewissheit schaffen, dass wir die richtigen Wege gehen werden in den kommenden Jahren.
Zückert: Nochmals meine Frage: Kann ein Weißbuch den Bürger von der Notwendigkeit einer starken Verteidigungsarmee überzeugen?
Von Geyr: Es ist auch unser Anspruch, natürlich, Überzeugungsarbeit zu leisten für die Notwendigkeit von Sicherheitspolitik – und die in all ihren Faktoren. Zu diesen Faktoren gehört auch die Bundeswehr – aber nicht nur. Sie ist Teil der vernetzten Sicherheitsvorsorge. Insofern leisten wir damit auch einen Beitrag zum sicherheitspolitischen Diskurs in Deutschland insgesamt.
Zückert: Nun ziehen Sie ja Fachwissen aus den verschiedensten Ebenen zusammen, militärisches, wissenschaftliches, politisches Fachwissen und eben auch das Bürgerfachwissen. Wie soll denn das alles in das Weißbuch einfließen?
Von Geyr: Die Ebenen sind vielfältig, das ist richtig. Wir brauchen vieles, um einen kompletten Blick zu haben: Von der Tiefenschärfe, die uns Experten geben können, die in den Details beheimatet sind, über die besondere Expertise aus dem parlamentarischen Raum, die spezifischen Erfahrungen von NGOs, bis zu Einstellungen, die sich zeigen, wenn man gewissermaßen der Bevölkerung auf den Puls fühlt: Wie deren Befindlichkeiten sind, deren Sorgen, die Bedrohungsvorstellungen, gegen die wir ja schützen sollen. All das zusammen ergibt ein komplettes Bild.
Zückert: Inwiefern lassen Sie sich leiten von der aktuellen, auch außenpolitischen Lage? Sie haben von der Bedrohungslage gesprochen, die wird aber in der Meinung der Bürger oft sehr subjektiv beurteilt. Inwieweit lassen Sie sich da leiten, im positiven Sinne auch beurteilen?
Von Geyr: Es wird unser Ziel sein, zum Schluss Aussagen zu bekommen, die perspektivische Haltbarkeit haben, die sich bewähren in den kommenden Jahren, unter Umständen, die wir heute teils noch gar nicht kennen. Das Weißbuch soll sich auch in zukünftigen Aktualitäten bewähren. Deshalb ist es gut, unsere Aussagen aus heutigen Aktualitäten zu entwickeln.
Zückert: Können Sie so ein Beispiel nennen?
Von Geyr: Wenn Sie sich anschauen, wie wir uns im Laufe des vergangenen Jahres eingebracht haben in Unterstützungsmaßnahmen zugunsten der Kurden im Nordirak, in Ausbildungsmissionen in Mali und Somalia, in Unterstützungsangebote für die OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa im Osten der Ukraine: Dann sind das alles konkrete Erfordernisse, die so vor zwei Jahren keiner von uns vorhergesagt hätte – die aber in den Konzepten des Weißbuchs 2006 durchaus angelegt waren und jetzt weiterentwickelt werden müssen – Stichwort „vernetzte Sicherheit“. Oder die Ertüchtigung von Sicherheitsstrukturen in anderen Ländern und Regionen kann ein Markenzeichen unseres Engagements werden – Stichwort Mali. Genauso die Unterstützung internationaler, multilateraler Organisationen, wie der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die sich bemüht, Konflikte abzusichern, zu entschärfen – Stichwort Ostukraine. Oder etwa der Ansatz mit unterschiedlichen Mittel diejenigen zu unterstützen, die sich konkret dem Terror entgegenstellen – Stichwort Nordirak.
Das alles können Vorgaben sein, die ein Weißbuch leistet. Diese müssen sich später im Konkreten bewähren – wobei wir dieses Konkrete für das Weißbuch, an dem wir jetzt schreiben, vielleicht noch nicht einmal ahnen.
Zückert: Bleiben wir im Konkreten. Es werden ja derzeit konkrete Entscheidungen gefällt, was die Ausrüstung und die finanzielle Aufstockung der Bundeswehr betrifft. Ist da der Takt des politischen Entscheidens nicht schneller als der Weißbuch-Überlegungsprozess? Wird der nicht getrieben von aktuellen Entscheidungen – ist das ein „Weißbuch-Überholungsprozess“?
Von Geyr: Natürlich müssen auch während des Erstellungsprozesses diverse Entscheidungen getroffen werden, was Haushaltsfragen, Rüstungsentscheidungen anbelangt. Das Weißbuch muss um eine grundsätzliche Sicht, um eine schlüssige strategische Struktur bemüht sein, die auch in Zukunft als eine solche gesehen wird.
Zückert: Nochmal nachgefragt: Haben Sie nicht das Gefühl, dass auch die Arbeitsgruppen, die dazu tagen, bereits Getriebene sind von Entscheidungen auch aus Ihrem Haus?
Von Geyr: Es war auffallend, wenn ich ein Beispiel nehmen darf, wie intensiv die Ukraine-Russland-Krise die Diskussion in den unterschiedlichen Panels bei der Auftaktveranstaltung bestimmt hat. Aber für uns interessant ist nicht nur das, was über Russland und die Ukraine dort gesprochen worden ist. Sondern auch das, was an grundsätzlichen und perspektivischen Gedanken dabei zum Vorschein gekommen ist. Wie sind die Trends, wie sind die Tendenzen der Bedrohungen? Wie können oder sollten wir uns gegen Phänomene hybrider Kriegsführung wappnen? Machen wir das zukünftig mehr national oder mehr gemeinsam in den Partnerschaften NATONorth Atlantic Treaty Organization, EUEuropäische Union, OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa? Das sind dann Elemente, die ins Weißbuch reinkommen. Das ist mehr als nur die Aktualität konkreter Notwendigkeiten im Ukraine-Konflikt. Was wir für das Weißbuch heraus absorbieren, das sind die Aussagen mit Haltbarkeit.
Zückert: Also kein Hase-und-Igel-Prinzip? Sie fühlen sich im Weißbuch-Prozess wirklich nicht getrieben durch die aktuellen Entscheidungen der Außenpolitik oder auch Ihres Hauses?
Von Geyr: Dann könnte man kaum mehr wirklich strategisch längerfristige Überlegungen angehen. Man muss absorbieren können, was langfristigen Wert hat an Substanz aus den Aktualitäten heraus, aus den aktuellen Diskussionen heraus. Das ist eigentlich die Kunst.
Zückert: Welche Rolle spielt Ihre Abteilung, welche Rolle spielen Sie selbst im Weißbuch-Prozess?
Von Geyr: Wir haben eine Projektgruppe gegründet in der Abteilung, die jetzt diesen Weißbuch-Prozess vorantreibt, orchestriert, koordiniert und organisiert. Da ist sehr viel zu tun, um die unterschiedlichen Fäden zusammenzubinden. Diese Projektgruppe wird sich dann auch dranmachen, ein Produkt möglichst aus einem Guss zu erstellen, in dem sich alle, die wir mit einbeziehen, auch wahrgenommen fühlen.
Zückert: Also sind Sie der Dirigent?
Von Geyr: Der Prozess ist so komplex, dass er eine starke Mannschaft braucht. Der Taktgeber für das Weißbuch ist die Projektgruppe, entscheidend ist das enge Miteinander auch mit den anderen Ressorts.
Zückert: Wie läuft denn die Abstimmung mit den einzelnen Ressorts? Traditionell sind ja Verteidigungspolitik und Entwicklungspolitik nicht immer auf einer Linie. Vielleicht mit gleichen Zielen, aber in der Methode komplett auseinander. Wie bekommt man das zusammen?
Von Geyr: Es gibt eine Fülle von Überlappungen zwischen unseren Aufgaben und denen anderer Ressorts. Das wollen wir uns produktiv zunutze machen. Wir sind deswegen im engen Kontakt mit allen Ressorts, wir wollen sie soweit wie nur möglich mitnehmen in das Weißbuch. Das gelingt im Moment ganz gut, die Abstimmungen sind sehr konstruktiv, und ich glaube auch die Auftaktveranstaltung hat gezeigt, dass alle mitziehen. Zum Schluss bin ich mir ziemlich sicher, dass wir zu Aussagen kommen können, in denen sich alle wiederfinden.
Zückert: Wird das nicht womöglich – schwammig?
Von Geyr: Genau das müssen wir vermeiden. Wir dürfen eben nicht der Versuchung erliegen, klare Aussagen durch zu viel Kompromisshaftes zu verwässern. Das ist eine gemeinsame Aufgabe der Ressorts. Im Zentrum des Weißbuchs steht die Bundeswehr. Deswegen ist die Verortung hier im Verteidigungsministerium richtig. Aber es bleibt eine gemeinsame Aufgabe, auch weil Sicherheitspolitik in dem vernetzten Ansatz, wie wir sie verstehen, die Ressorts verbindet. Insofern müssen wir gemeinsam für Klartext und Substanz sorgen.
Zückert: Ich frage noch mal nach dem Konflikt zwischen Verteidigungs- und Entwicklungspolitik. Mit dem Auswärtigen Amt ist es leicht bei der vernetzten Sicherheit. Doch die entwicklungspolitischen Ansätze von NGOs – wie schwierig werden da die Abstimmungen?
Von Geyr: Ich glaube, so wie wir in Deutschland Sicherheitspolitik betreiben, lassen sich punktgenaue Unterscheidungen zwischen Außenpolitik, Sicherheitspolitik, Entwicklungspolitik gar nicht mehr ziehen. Auch Entwicklungspolitik würde ich heute als einen Teil vorausschauender Sicherheitspolitik bezeichnen. Selbst auswärtige Kulturpolitik kann zutiefst sicherheitspolitisch präventiv wirken. Genauso leisten wir als Bundeswehr im Grunde mit vielen unserer Maßnahmen im Ausland – wenn es etwa um die Stärkung von Sicherheitsstrukturen in fragilen Ländern geht – einen Beitrag zu einer sehr konstruktiven, weitschauenden und nachhaltigen Entwicklungspolitik. Wir sind uns näher als oft gedacht wird.
Zückert: Am Ende müssen sich die anderen, wie das Entwicklungsressort, auch mal anpassen und kompromissfähig sein?
Von Geyr: Ich glaube, der inklusive Prozess, den wir jetzt betreiben, den es ja in dieser Form noch nicht gegeben hat, wird dazu beitragen, dass wir mit der Zeit gerade unter den Ressorts, mit denen es die größten Überlappungen gibt, das ist sicherlich das Auswärtige Amt, aber auch das Innenministerium und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ein großes Maß an Konsens über die wesentlichen Linien finden werden. Wir wollen und brauchen ein Weißbuch aus einem Guss.
Zückert: Was macht Sie da so sicher?
Von Geyr: Weil wir im täglichen Arbeiten sehr nahe zusammengewachsen sind. Weil die Bundeswehr etwa bei Auslandseinsätzen sehr eng zusammenarbeitet mit unseren anderen Ressorts. Die Nähe ist bei Weitem größer als Unterschiedlichkeiten in mancher Intonation. Das wird auch das Weißbuch durchdringen, da bin ich mir ziemlich sicher. Das kriegen wir hin – und durch diesen inklusiven Prozess gehen wir genau den richtigen Weg. Zum Schluss wird aber auch eine Portion guter Wille dazugehören – das ganz bestimmt von allen Seiten.
Zückert: Wenn Sie mal in die Glaskugel gucken, wird das sozusagen das „Weißbuch der Großen Koalition“ oder ein „Weißbuch der Vernunft“? Das eine schließt das andere ja nicht aus, aber…?
Von Geyr: Wir haben bis jetzt vor allem auf das deutsche Feld abgehoben. Also würde ich vorher noch, wenn Sie gestatten, den Blickwinkel von außen mit einbeziehen und dann komme ich auf diese Frage zurück.
Frau Zückert: Sehr gerne…
Von Geyr: Es ist uns auch besonders wichtig, dass wir die Sichtweise unserer Partner und Verbündeten hören. Natürlich wird das Weißbuch ein deutsches Dokument werden und eine deutsche Sicht dessen, was sicherheitspolitisch notwendig ist, was an Vorgaben festzuschreiben ist für die weiteren Entwicklungen der Bundeswehr.
Aber in unserer engen Ausrichtung auf Partnerschaften liegt begründet, dass wir bereits jetzt – in der Entstehungsphase – sehr viel Wert darauf legen, die Sicht aus dem Ausland mit einzubeziehen, gerade auch die atlantische und europäische Sicht der Dinge. Es wird ja auch eine neue europäische Sicherheitsstrategie geben, an der die Hohe Beauftragte Frau Mogherini sitzt und bei einigen unserer engsten Partner sind auch strategische Grundlagendokumente in Arbeit. Hier sind Querverbindungen angezeigt und auch wichtig.
Deswegen sind wir im engen Austausch mit unseren Partnern und haben auch bei der Auftaktveranstaltung entsprechend eingeladen. Das werden wir bei den kommenden Workshops genauso handhaben. Immer werden auch Persönlichkeiten dabei sein, die uns quasi den Spiegel von außen vorhalten und die ihre Erwartungen auch möglichst unverblümt mitteilen. Das war ja bei der Auftaktveranstaltung bei Robin Niblett aus britischer Sicht interessant. Zugleich haben wir auch die französischen Erwartungen gehört von Botschafter Gourdalt-Montagne, ebenso Bemerkungen von Janusz Reiter aus Polen und die des niederländischen Generalstabschefs.
Das wird so weitergehen, wir werden die amerikanischen Erwartungen mit einbeziehen und diverse andere auch. Das ist wesentlich, denn: Sicherheit kann es in Europa und auch der atlantischen Partnerschaft nur gemeinsam geben. Deshalb müssen wir wissen, was wir voneinander erwarten.
Zückert: Das heißt, Sie legen mit dem Weißbuch eigentlich ein politisch-gesellschaftliches Fundament für eine europäische Armee?
Von Geyr: Ob dieses Weißbuch uns auch in Richtung einer tatsächlichen, einheitlichen europäischen Verteidigungspolitik, dem Fernziel einer Europäischen Armee bereits konkret weiterbringen kann, weiß ich nicht. Aber das Weißbuch wird sicherlich auch einen atlantischen und auch einen europäischen Charakter haben, wohl noch stärker als bisher.
Zückert: Offenbar doch schon ein bisschen in Richtung Fundament, weil Sie soeben von sich aus diesen Aspekt als sehr wichtig dargestellt haben. Also nochmal die Frage: Wird daraus ein Fundament für eine europäische Armee?
Von Geyr: Ich glaube, deutsche Sicherheitspolitik und die Aktionsmöglichkeiten der Bundeswehr sind bereits heute in ganz erheblichem Maß vom Atlantischen Bündnis und der EUEuropäische Union geprägt. Und wenn man perspektivisch denkt, geht es um die Relevanz Europas und um die Möglichkeiten, die wir als europäische Staaten haben werden, unsere Interessen auch in Zukunft durchzusetzen. Angesicht demografischer und geostrategischer Entwicklungen werden wir stärker zusammenstehen müssen. Die europäische Sicherheitspolitik wird sich an die Integrationstiefe anderer europäischer Politikbereiche annähern müssen. Ich bin überzeugt, dass der europäische Charakter auch deutscher Sicherheitspolitik in den nächsten Jahrzehnten noch wesentlich stärker sein wird. Dazu kann das Weißbuch beitragen.
Zückert: Wird es quasi auch ein Fundament gegen den internationalen Terrorismus? Ich nenne das Stichwort hybride Kriegsführung, werden wir auch dazu etwas lesen können am Ende des Weißbuch-Prozesses?
Von Geyr: Ich spreche lieber von transnationalem Terrorismus, denn der uns in Europa am schärfsten bedrohende Terror negiert ausdrücklich Grenzen und hat den Fokus auf eine nationale Agenda verlassen. Die erste Antwort gegen diesen Terror ist gewiss eine noch stärkere Vernetzung aller Sicherheitsakteure der äußeren und inneren Sicherheit und dazu gehört auch die Bundeswehr. Die zweite Antwort gegen den Terror ist die noch stärkere Vernetzung der internationalen Organisationen, die sich um Sicherheit bemühen. Da natürlich vorne weg die NATONorth Atlantic Treaty Organization, auch die OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, auch die EUEuropäische Union, Aber auch beispielsweise internationale Finanzorganisationen sind wichtig, da auch sie durchaus sicherheitspolitische Wirkung entfalten können. Das alles zusammen – diese doppelte Vernetzung – ist die eigentliche Antwort, wie Terrorabwehr mittel- und langfristig funktionieren kann.
Das Phänomen hybride Kriegsführung gehört dazu in all seinen vielschichtigen Facetten. Hybride Kriegsführung zu begreifen und ihr vorherzukommen, ist bestimmt eine der zentralen sicherheitspolitischen Zukunftsfragen, auch, aber bei Weitem nicht nur, in der Terrorabwehr. Hybride Kriegsführung erleben wir ja aktuell beispielhaft im Osten der Ukraine, wo es um eine eigentlich überholt geglaubte Machtprojektion zum Erhalt von Einflusszonen geht. Die profunden Gegenmaßnahmen der NATONorth Atlantic Treaty Organization zeigen, dass sich auch Bündnispartner konkret bedroht fühlen. Hybride Kriegsführung, die so neu nicht ist, wird unsere Sicherheitspolitik gewiss noch lange fordern und ein zentrales Thema des Weißbuchs sein.
Zückert: Zum Schluss eine innenpolitisch sensible Frage: Wird es ein „Weißbuch der Großen Koalition“?
Von Geyr: Ich würde es folgendermaßen sagen: Es sollte ein Weißbuch sein, das ausgeht von den Bedrohungen, denen unser Land Deutschland, Europa, unsere verbündeten entgegensehen – und zu einem gewissen Maß auch der gesamte Westen. Bedrohungen, gegen die wir uns vereinen müssen, gegen die wir uns miteinander wappnen müssen. Das Thema ist zu groß, um es in einer innenpolitischen Auseinandersetzung zum Spielball zu machen. Wir beziehen in diesem inklusiven Weißbuch-Prozess breite Expertise mit ein. Ich hoffe sehr, dass wir zu Aussagen kommen, die nicht innenpolitisch zerfasert werden, sondern die zu einem großen Konsens führen können. Ich glaube das hat die Bundeswehr verdient.
Zückert: Das ist ein gutes Schlusswort. Vielen Dank für das Gespräch.
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