Unter der Fragestellung „Wiederauferstehung des Kampfs der Kulturen?“ hatte die Clausewitz-Gesellschaft sowie die Deutsche Atlantische Gesellschaft zum IX. Clausewitz-Strategiegespräch in der Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund geladen. Carlo Masala, Professor für Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr in München, hielt einen Impulsvortrag zum Thema „Politische Rahmenbedingungen und Herausforderungen für das Zusammenleben der Kulturen“. Die Redaktion der Bundeswehr führte mit ihm dazu das folgende Interview.
Herr Professor Masala, 1996 veröffentlichte Samuel P. Huntington sein Buch „Clash of Civilizations“, ins Deutsche übersetzt mit „Kampf der Kulturen“. Was denken Sie, ist die Botschaft des Buches?
„Clash of Civilizations“ ist wohl eines der am meisten missverstandenen Bücher weltweit. Huntington machte erstmals darauf aufmerksam, dass kulturelle, zivilisatorische Elemente mitbedacht werden müssen, um die Dynamik und die Brisanz, die Entwicklung sowie die Dynamik eines Konfliktes zu verstehen. Ich denke, das Buch wurde in einer Zeit veröffentlicht, in der vor allem die westliche Welt, nicht bereit für eine solche Botschaft war.
Was ließ die Stimmen der Kritiker laut werden?
Die Botschaft des Buches muss man zweidimensional betrachten: Die Forderung zu erkennen, dass Konflikte auch einen zivilisatorischen, kulturellen Hintergrund haben, ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite steht eine latente Warnung. Eine Warnung davor, der Versuchung zu erliegen, westliche Normen und Werte zu universalisieren, also anderen Kulturen überzustülpen.
Was können wir mit der Botschaft des Buches heute im Alltag der Staatengemeinschaft anfangen?
Wir sollten uns darüber bewusst sein, dass das westliche Modell stark in Misskredit geraten ist. Durch den Versuch, westliche Werte, wie Demokratie oder die universelle Gültigkeit von Menschenrechten, von außen, anderen Kulturen aufzudrücken.
Aber gibt es nicht auch Fortschritte?
Ja, es gibt Fortschritte. Das Ziel des Westens, hier spreche ich insbesondere von Amerika, Demokratie weltweit zu verbreiten, hat sich gewandelt. Einsätze sind mittlerweile strategisch ausgerichtet. Zudem hat sich die Rhetorik gewandelt. Man spricht heute vielmehr von Stabilisierung statt Demokratisierung. Damit hat man vielleicht keinen Clash of Civilizations, aber die zivilisatorische Komponente wird nicht weniger wichtig. In einem solchen Umfeld gewinnt die Rückbesinnung auf die kulturelle, genauer religiöse Identität immer mehr an Bedeutung.
Warum ist das so?
Werte sind nun einmal von Kulturkreis zu Kulturkreis unterschiedlich. Ignoriert man die Tatsache, dass westliche Werte zunächst raumfremd sind, kommt es häufig zur Ablehnung der anderen Kulturkreise und damit zum Konflikt.
Wie können heutige Konflikte also gelöst werden?
Ich kann es nicht oft genug betonen: Der Anspruch auf Allgemeingültigkeit der westlichen Werte muss heruntergeschraubt werden. Er provoziert den Vorwurf der Doppelmoral westlicher Werte. Diesen gilt es, zu entkräften. Man muss sich den eigenen Einfluss nutzbar machen, ohne andere Staaten an den Pranger zu stellen. Man muss mit dem arbeiten, was vorhanden ist und die strategischen Gewässer ausnutzen. Letztendlich ist es eine Frage der Realpolitik.
Ein neues Konfliktfeld unserer Tage ist die Hybride Kriegsführung. Der Westen wird mehr und mehr Ziel von Propaganda. Was kann er dagegen unternehmen?
Wichtig ist in jedem Fall, dass die Rhetorik verändert werden muss. Den Gegnern muss die Luft aus den Segeln genommen und die Propaganda entkräftet werden. Und dies geht am besten, indem wir unsere Werte für uns immer wieder bekräftigen und bestätigen. Aber wir sollten nicht unsere Werte als Maßstab für die Entwicklung anderer Kulturkreise nehmen.
Mit Blick auf die russische Propaganda bedeutet dies zunächst, nicht den russischen Staat (und damit auch indirekt dessen Gesellschaft) wegen der fehlenden Demokratie an den Pranger zu stellen, um damit russische Propaganda zu konterkarieren. Damit nehmen wir diesem machtpolitischen Konflikt seinen zivilisatorischen „Überbau“ und machen es der russischen Regierung schwieriger, sich als das darzustellen, was sie gerne wären, die Verteidiger traditioneller konservativer Werte gegen unseren vermeintlich degenerierten Liberalismus.
Die Fragen stellte Lara Romboy.
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