Das Weißbuch 2016 befasst sich mit der Bedrohung durch „hybride Kriegsführung“. Bei dieser Mischform aus militärischen und zivilen Mitteln spielt die Beeinflussung der Öffentlichkeit eine wichtige Rolle. Warum diese Form der Konfliktaustragung eine Renaissance erlebt und welche Gegenstrategien angemessen wären, erklärt Jan Asmussen im Interview mit der Redaktion der Bundeswehr. Er ist Privatdozent am Institut für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und zudem Professor an der Polnischen Marineakademie.
Wie lässt sich der Begriff „hybride Kriegführung“ definieren?
Der Begriff hybrid dürfte vielen schon in Bezug auf Autos mit gemischten Antriebssystemen geläufig sein. Auch bei hybrider Kriegführung handelt es sich um eine Mischform. Bei dieser wird die klassische reguläre Form der Kriegführung ergänzt durch irreguläre Taktiken – etwa verdeckt kämpfende Kräfte oder Cyberangriffe – in Kombination mit modernen Informationsmitteln.
Abgesehen von der Bezeichnung, ist diese Mischform der Kriegführung wirklich so neu?
Nein, viele Elemente der hybriden Kriegführung sind in der Tat nicht neu. Schon die Römer haben im Zweiten Punischen Krieg irreguläre Kräfte eingesetzt und gezielt Propaganda betrieben, um die Bevölkerung zu beeinflussen. Ähnliches gilt für den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg oder die Napoleonischen Kriege. Tatsächlich neu sind jedoch die Möglichkeiten des heutigen Cyber- und Informationsraums.
Welche aktuellen Beispiele gibt es für hybride Kriegführung?
Aktuelle Beispiele sind die Konfliktregionen in Syrien und der Ukraine. Nicht von ungefähr wurde der Begriff während der Besetzung der Krim einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Es gab keine Kriegserklärung, dafür aber Mischformen aus regulären und irregulären Kräften sowie den Einsatz von Informationsmitteln. Hybride Züge tragen zudem die Streitigkeiten um bestimmte Inselgruppen im Chinesischen Meer. Die Gebietsansprüche werden dort unter anderem durch den aggressiven Einsatz von Fischerbooten bekräftigt. Der Begriff hybride Kriegführung wird allerdings von jenen, die so vorgehen, stets vermieden.
Warum vermeiden es die Akteure, das Kind beim Namen zu nennen?
Weil der Begriff als negative Bewertung gilt. Hybride Kriegführung wird regelmäßig der anderen Seite unterstellt. Als Form der Selbstbeschreibung kommt der Begriff hingegen so gut wie nicht vor. Russland etwa würde sein Vorgehen niemals als hybride Kriegführung bezeichnen. Das liegt ja gerade in der Natur der Sache, dass man versucht, kriegerische Verhaltensweisen möglichst plausibel abzustreiten.
Welche Bedeutung spielt die Beeinflussung der öffentlichen Meinung bei hybriden Vorgehensweisen?
Wenn es gelingt, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, hat man schon einen großen Teilerfolg erreicht. Die eigene Bevölkerung soll mobilisiert und von der Richtigkeit der Sache überzeugt werden. Die öffentliche Meinung auf der anderen Seite soll hingegen möglichst dahingehend beeinflusst werden, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Politik ihrer Regierung zunehmend hinterfragt und nicht mehr mitträgt.
Nach dem neuen Weißbuch gelten demokratische Gesellschaften durch hybride Aktivitäten als besonders verwundbar – teilen Sie diese Einschätzung?
Nicht ganz – meiner Ansicht nach sind westliche Länder nicht unbedingt gefährdeter. Natürlich bieten die höhere Offenheit und die bessere Verfügbarkeit aller möglichen Medien mehr Ansatzpunkte für Propaganda. Entscheidend ist aber letztlich, ob die Bürger dafür zugänglich sind, ob sie also auch alles glauben, was da verbreitet wird. Nehmen Sie das Beispiel des russischen Senders RT. Dieser spricht nur eine relativ kleine Minderheit der Bevölkerung an. Die stark überwiegende Mehrheit hingegen weiß die dort verkündeten Botschaften sehr wohl einzuordnen. In demokratischen Gesellschaften mit einer Kultur der offenen Auseinandersetzung wird sich reine Propaganda nicht durchsetzen können.
Trotzdem, wie reagiert man auf derartige Propaganda?
Nicht durch Gegenpropaganda, sondern durch faktenbasierte Aufklärung durch Politik und Medien.
So ähnlich steht es auch im Weißbuch. Doch wie soll das funktionieren, wenn das Vertrauen in Politik und Medien abnimmt?
Das ist selbstverständlich eine Gefahr. Das gesunkene Vertrauen in die Medien kommt allerdings weniger daher, dass irgendwelche Propagandamaßnahmen bereits Wirkung zeigen. Vielmehr ist dies Teil eines allgemeinen gesellschaftlichen Trends der Verunsicherung und der Politikverdrossenheit. Ich bemerke das auch bei meinen Studenten. Gerade in solchen Zeiten sind kritische Medien unverzichtbar. Es sind zwar auch Fehler in der Berichterstattung passiert, doch abgesehen davon haben wir glücklicherweise genügend kritische Journalisten, die Propaganda und tendenziöse Berichterstattung als solche entlarven.
Das Vertrauen in unsere zivilen Medien ist also von strategischer Bedeutung?
Ja, das ist sogar ganz zentral. Denn wenn die Bevölkerung den Informationen, die sie über die unabhängigen Medien erhalten, nicht mehr vertraut, dann wird deren Kontrollfunktion fast unmöglich.
Wie wird die Entwicklung in Zukunft weitergehen?
Ich denke, aus russischer Sicht fällt die bisherige Bilanz des hybriden Ansatzes sowohl in Syrien als auch in der Ukraine eher positiv aus. Daran werden sich andere Länder mit ähnlichen Ambitionen nun orientieren. Zudem hat sich gezeigt, dass mit hybrider Kriegsführung die Belastbarkeit von Staatenbündnissen wie EU und NATO infrage gestellt werden kann. Europa und der Westen insgesamt sollten daher den inneren Zusammenhalt stärken und nach außen hin geschlossener auftreten. Leider verläuft die Entwicklung derzeit genau in die andere Richtung. Deswegen werden hybride Formen der Konfliktaustragung künftig noch häufiger vorkommen – und zwar weltweit.
Die Fragen stellte Markus Theis.
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