Rede der Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, zur feierlichen Übergabe des Präsidentenamtes der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr am 23. März 2018 in Hamburg.
Sehr geehrte Frau Bischöfin Fehrs,
Frau Senatorin Dr. Leonhard,
Frau Staatsrätin Dr. Gümbel,
Frau Professor Müller,
Herr Generalkonsul Yoneoka,
meine Damen und Herren Präsidentinnen und Präsidenten,
meine Herren General und Admirale,
lieber Herr Darboven für die zahlreichen Gäste aus der Wirtschaft,
aber vor allem Sie, lieber Herr Professor Dr. Seidel und Herr Professor Dr. Beckmann,
liebe Frau Seidel, liebe Frau Beckmann,
meine Damen und Herren!
Ich erinnere mich noch gut an meinen letzten Besuch hier an der Helmut-Schmidt-Universität. Das war der Beförderungsappell, und ich weiß noch genau, wie sehr mich diese besondere Aufbruch-Stimmung unter den jungen Soldatinnen und Soldaten beeindruckt hat. Diese Stimmung ist Sinnbild für vieles, wofür diese Universität seit ihrer Gründung steht.
Unsere Offiziere sind hier an der Schwelle zu einem wichtigen neuen Lebensabschnitt. Mit dem Studium an dieser Universität legen sie einen bedeutenden Grundstein für ihre weitere Karriere in der Bundeswehr. Die jungen Soldatinnen und Soldaten erfahren hier eine Ausbildung, die weit über das militärische Handwerkszeug hinausgeht. Genau das war auch der Gedanke, der Helmut Schmidt einst dazu bewog, bundeswehreigene Universitäten zu gründen: Dass ein Offizier der Bundeswehr nämlich immer auch ein Staatsbürger in Uniform ist, der mit seinem akademischen Sachverstand auf Augenhöhe mit der Zivilgesellschaft sein muss.
Meine Damen und Herren,
an unsere militärischen Führungskräfte werden in unserer heutigen multipolaren Welt vielfältigere Anforderungen denn je gestellt. Die Internationale Friedensordnung wird in ihren Grundfesten herausgefordert, unsere Demokratien werden konfrontiert mit autokratischen Gegenentwürfen, wir erleben zunehmend hybride Konflikte auf dem Feld des Cyber- und Informationsraums.
Die Komplexität, die Dynamik und die Parallelität der Krisen und Konflikte, die wir rings um den Globus erleben, erfordern Persönlichkeiten, die offen, flexibel und mit einer breiten fachlichen und politischen Bildung auf die Lage blicken. Deswegen ist die akademische Ausbildung – mehr denn je – ein hohes Gut, das wir wertschätzen und hochhalten werden. Ein Pfund, mit dem wir wuchern können, um die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiv zu erhalten.
Lieber Herr Professor Seidel,
Sie haben in den vergangenen siebeneinhalb Jahren den Boden dafür bereitet. Seit Oktober 2010 sind Sie nun Präsident dieser Universität. Gelehrt und gewirkt haben Sie hier aber schon wesentlich länger. 1983 kamen Sie nach Ihrer Promotion in München als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an die „Hochschule der Bundeswehr Hamburg“, wie sie damals noch hieß. 1992 habilitierten Sie sich hier mit einem Thema aus der statistischen Qualitätskontrolle. Es folgten „Gastspiele“ in Essen, Kiel und Hamburg – bis Sie 1998 in den Schoß der HSU zurückkehrten, als Professor für Mathematische Methoden der Wirtschaftswissenschaften.
Durch Ihr wissenschaftliches Oeuvre zieht sich ein Prinzip wie ein roter Faden:
Sie sind immer mit Leidenschaft praktischen und anwendungsnahen Problemen auf den Grund gegangen und haben innovative Lösungen entwickelt. Dabei war es Ihnen wichtig zu betonen, dass dies eine Universität der Bundeswehr ist – und dass sich exzellente Forschung und Lehre auch genau hier auswirken müssen. Orientiert an den Bedürfnissen, die aus der Einsatzrealität der Truppe erwachsen.
Genauso haben Sie die Universität auch geöffnet. Einmal gegenüber anderen Einrichtungen der Bundeswehr – z.B. ist es Ihnen ein echtes Herzensanliegen gewesen, die Stärken der HSU in die neue Denkfabrik einzubringen, die wir an der Führungsakademie hier in Hamburg aufbauen.
Sie haben die HSU auch national geöffnet, hin zu anderen Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen. Der geplante Studiengang Bauingenieurwesen etwa ist Teil einer Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die Bundeswehr bildet in diesem Fall dringend gesuchte Bauingenieure für den öffentlichen Dienst aus. Dieses Projekt könnte auch eine Blaupause sein für weitere Kooperationen.
Und Sie haben mit der HSU den Weg in Richtung Europa beschritten – als Gastgeber für Lehrende und Studierende aus unterschiedlichen Nationen. Einen Weg, den nun Prof. Beckmann mit Verve weitergehen wird.
Lieber Herr Professor Beckmann,
Sie werden das Präsidentenamt der HSU zum 1. April übernehmen. Ihr bisheriger Werdegang zeigt, dass Sie bestens gewappnet sind, die Helmut-Schmidt-Universität erfolgreich auf Kurs zu halten.
Sie haben VWL in Passau studiert. 1991 waren Sie dort Mitarbeiter, dann Assistent am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft. 1998 promovierten Sie über analytische Grundlagen der Finanzverfassung. Im Jahr 2002 folgte die Habilitation zum Thema – Steuerhinterziehung. Auch Ihnen geht es um Wissenschaft auf höchstem Niveau, aber eben genauso um lebensnahe Themen. Den Elfenbeinturm haben Sie immer nur gebraucht, solange Sie von dort aus einen besseren Überblick bekamen.
Im Sommer 2002 wechselten Sie an die Universität Bayreuth. Von dort aus wurden Sie an die neu gegründete Universität in Budapest entsandt, wo Sie die Leitung der Professur für Finanzwirtschaft übernahmen. Nach einer weiteren Habilitation an der Corvinus-Universität Budapest wurden Sie 2003 zum Universitätsprofessor ungarischen Rechts ernannt.
Im Oktober 2006 kamen Sie schließlich an die HSU, übernahmen die Professur für Finanzwissenschaft an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Aber nicht nur in der Wissenschaft, in Forschung und Lehre haben Sie Leistungen vorzuweisen, auch die Organisation von Wissenschaft ist Ihnen gut vertraut.
Vier Jahre lang waren Sie Vizepräsident dieser Universität. Seit 2013 sind Sie Vorstand des Zentrums für Wissenschaftliche Weiterbildung dieser Universität und damit auch treibende Kraft bei vielen Kooperationen – lokal, national und international.
Lieber Herr Beckmann,
Sie übernehmen das Präsidentenamt in einer Zeit, in der sich diese Universität weiter und stärker nach außen öffnen wird. Beispielhaft dafür steht das Kompetenzcluster „Sicherheitsforschung und Logistik“ mit vier neuen Studiengängen 60 neuen Stellen,
davon neun Professuren. Von diesem Cluster erwarten wir vor allem Impulse für unsere Bundeswehr und das Verteidigungsministerium.
Mit den Absolventinnen und Absolventen der neuen Studiengänge „Vergabe- und Vertragsrecht“, „Defence Systems“ und „Logistik“ wollen wir unsere eigenen Kompetenzen im Rüstungsbereich stärken und ausbauen. Die Themen mögen sich trocken anhören, aber genau hier spielt die Musik! Wir wollen uns im Management und der Realisierung von Großprojekten besser aufstellen. Wir brauchen versierte, hochspezialisierte Expertinnen und Experten in diesem Feld. Dazu zwei Zahlen, um einmal die Dimension dieses Bereichs zu verdeutlichen: In der vergangenen Legislaturperiode haben wir Rüstungsprojekte im Wert von rund 30 Mrd. Euro auf den Weg gebracht, dahinter standen 38.000 Verträge. Dies ist der Anfang. Jetzt müssen diese hochkomplexen Großprojekte über Jahre in ein professionelles Risikomanagement, das Vertragsmanagement ist eines der Schlüsselthemen dabei.
Das Forschungscluster adressiert aber auch spezifische Herausforderungen von Streitkräften, z.B. die Logistik, ohne die in Einsätzen nichts läuft – und die leider immer wieder fehlt. Das haben wir anfangs in Mali erlebt, bei der Ebola-Krise in Westafrika oder in der Zentralafrikanischen Republik. Die Krisen schrien förmlich nach einer schnellen europäischen Antwort. Der politische Wille war auch da! Aber dann fehlte es an Logistik, Prozeduren und Strukturen, die „Krisenreaktion“ zog sich über Monate hin, so dass die einzelnen Mitgliedsländer sich händisch abstimmen mussten und jeder national loszog.
Umso herausragender ist, dass wir im Dezember des vergangenen Jahres die Europäische Verteidigungsunion aus der Taufe gehoben haben. Die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit in Europa – die PESCOPermanent Structured Cooperation – muss jetzt mit Leben gefüllt werden. Die Stichworte für die neuen Studiengänge an der HSU sind „Military Schengen“ und der „European Logistik Hub“. Oder auch der geplante Logistik-Hub der NATONorth Atlantic Treaty Organization (JSEC), den wir in Ulm aufstellen wollen. Sie, die Studierenden, werden dringend gebraucht!
Gerade vor diesem Hintergrund sehe ich die HSU auch als Motor unserer verstärkten militärischen Zusammenarbeit in Europa – zur Stärkung der NATONorth Atlantic Treaty Organization und zum Aufbau der Europäischen Verteidigungsunion.
Meine Damen und Herren,
unsere HSU hat noch eine Aufgabe hier in Hamburg, einer wohlhabenden Stadt, dem „Tor zur Welt“. Um es mit den Worten von Helmut Schmidt zu sagen: „Wissenschaft ist eine der sozialen Verantwortung verpflichtete Erkenntnissuche.“
Es sind heute dieselben Kräfte, die uns den Wohlstand bringen – Globalisierung und Digitalisierung –, die uns auch verunsichern und unsere Gesellschaften spalten. Globalisierung und Digitalisierung bedeuten Fortschritt, aber gleichzeitig verlieren wir Liebgewonnenes. Nichts bleibt, wie es ist. Und so bringt der Fortschritt wie jede gewaltige Umwälzung erst einmal Unsicherheit. Auf diesem Boden kann dann auch das Misstrauen gedeihen, das Gerücht blühen, können wir gnadenlose Simplifizierung erleben.
Es sind die Zeiten von Fake News, Desinformation und alternativen Fakten, verstärkt durch Bots und Trolle. Sie versprechen Schutz vor dem offenen Meer der Globalisierung: im Rückzug, im Protektionismus, in der Isolation. Ihre Mittel sind die Parole und das Vorurteil. Ihr Ziel – und das trifft Universitäten ins Mark – ist, die Skepsis gegenüber Experten zu säen, sie machen den wissenschaftlichen Diskurs ebenso verächtlich wie die evidenzbasierten Nachweise.
Universitäten dagegen haben sich immer der Nüchternheit und Klarheit von Wissenschaft und Forschung verschrieben. Von ihnen gehen neue Impulse aus. Daten, Fakten, Aufklärung, Evidenz – das sind die Stärken der Universität. Und das ist auch meine besondere Erwartung an diese Universität der Bundeswehr, an der Offiziere ausgebildet werden, deren Auftrag Verfassungsrang hat.
Wir brauchen Instanzen und Menschen, die unermüdlich der Wahrheit auf den Grund gehen; die nicht den Anschein, sondern den Nachweis suchen; die mit Respekt die Debatte führen; die bereit sind zuzuhören, weil Argument und Gegenargument zum demokratischen Meinungsbildungsprozess gehören.
Wir brauchen Universitäten, die nie vergessen, was sie stark gemacht hat. Das ist die Fähigkeit, mit den Veränderungen umzugehen – sie nicht zu verteufeln, sondern zu gestalten. Das ist die Neugierde des Forschens, das ist der Diskurs in der selbstbewussten und offenen Gesellschaft, die wir heute sind, und die wir für die nächsten Generationen erhalten wollen. Das sind die vornehmsten Aufgaben unserer Universitäten.
Lieber Herr Professor Seidel,
Sie haben die Belange dieser Universität in den vergangenen Jahren außerordentlich erfolgreich vertreten: mit Energie und Elan, mit hohem persönlichem Einsatz und mit großem Weitblick. Dafür möchte ich Ihnen heute meine Anerkennung und meinen Dank aussprechen.
Ihnen, lieber Herr Prof. Beckmann, wünsche ich für die neuen Aufgaben viel Erfolg, vor allem Freude, Neugierde, Durchsetzungskraft, Standfestigkeit, ein verlässliches Team an Ihrer Seite und immer die nötige Portion Fortune.
Helfen wird Ihnen sicherlich, dass Sie soldatische Expertise mitbringen. Wie ich höre,
dienen Sie als Oberst der Reserve regelmäßig in der Panzerbrigade 12 „Oberpfalz“,
als stellvertretender Brigade-Kommandeur – Chapeau! Sie sind also ein weiterer Beweis dafür, dass Wissenschaft und Militär einander beflügeln.
In diesem Sinne: Alles Gute im Präsidentenamt!
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