Deutschland ist 65 Jahre in der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Aus Anlass dieses Jubiläums hat die Redaktion der Bundeswehr mit Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer das folgende Interview geführt. Darin sagt AKK: „Es ehrt mich, dass ich im 70. Jubiläumsjahr der NATONorth Atlantic Treaty Organization als Verteidigungsministerin vereidigt wurde und nun in diesem Jahr auch unseren 65. Jahrestag mit unseren Soldatinnen und Soldaten und zivilen Beschäftigten begehen darf.“
Ich habe von Beginn meiner Amtszeit an deutlich gemacht, dass die NATONorth Atlantic Treaty Organization der Eckpfeiler unserer Sicherheit ist und bleibt. Wir müssen uns daher entsprechend einbringen und die NATONorth Atlantic Treaty Organization als das bewahren, was sie ist: unersetzbar.Annegret Kramp-Karrenbauer
65 Jahre ist die Bundesrepublik Deutschland nunmehr Mitglied der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Was bedeutet dieses historische Datum für unsere Gegenwart?
Mit dem Beitritt zur NATONorth Atlantic Treaty Organization am 6. Mai 1955 verbindet sich aus deutscher Sicht vor allem Sicherheit. Sicherheit für unser Land, für unsere Bürgerinnen und Bürger, für unseren Wohlstand. Die Verpflichtung aller Verbündeten, für ihre gemeinsame, unteilbare Sicherheit einzustehen, schafft Stabilität und Verlässlichkeit – damals wie heute.
Der Beitritt der Bundesrepublik zur Allianz, nur zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, bedeutete die Rückkehr der Deutschen in die westliche Wertegemeinschaft. Wegmarken unserer Geschichte wie die Wiedervereinigung und die europäische Einheit wären ohne die Stabilitätsgarantie der NATONorth Atlantic Treaty Organization nicht möglich gewesen. Für all das können gerade wir Deutsche sehr dankbar sein.
Die politische Bindekraft der Allianz und ihre unverbrüchliche Sicherheitsgarantie sind auch heute von höchstem Wert. Die internationale Ordnung – und damit auch unser Land – steht vielfach unter Druck; zum Beispiel durch die zunehmende Konkurrenz großer Mächte und islamistischen Terrorismus, aber auch durch neuartige Bedrohungen aus dem Cyberspace, die Folgen des Klimawandels oder Pandemien. Die NATONorth Atlantic Treaty Organization leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Bewältigung dieser Herausforderungen, von der Bündnisverteidigung über die weltweiten Partnerschaften bis zur logistischen Unterstützung der Corona-Hilfen.
Voraussetzung für all das ist aber, dass die einzelnen Mitgliedstaaten weiterhin ihre Beiträge leisten und ihre Verpflichtungen innerhalb der NATONorth Atlantic Treaty Organization ernst nehmen. Deutschland kommt dabei aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke, seiner Größe und seiner zentralen geographischen Lage besondere Verantwortung zu.
Stichwort Westbindung – Bundeskanzler Konrad Adenauer ist damals unbeirrt seinen Weg gegangen, und er führte uns in die transatlantische Allianz. Welche strategische Bedeutung hat dieser Kurs für unser Land heute?
Die Westintegration war in der Tat kein Selbstläufer, sondern erforderte entschlossene politische Führung. Eine große Leistung Adenauers war, dass er die transatlantische Partnerschaft und die europäische Einigung immer als zwei Seiten einer Medaille verstanden hat. Die Einbindung in die NATONorth Atlantic Treaty Organization beschwichtigte die Ängste unserer europäischen Nachbarn vor einem übermächtigen Deutschland, und die Einbindung in die europäische Gemeinschaft schaffte die Voraussetzung für weitere wirtschaftliche und politische Entwicklung in Europa.
Das gilt auch heute noch. Vielleicht sogar mehr denn je, denn wir erleben, dass die liberale internationale Ordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist und gerade unserem Land so viele Vorteile gebracht hat, zunehmend unter Druck gerät. NATONorth Atlantic Treaty Organization und EUEuropäische Union sind da verlässliche Pfeiler eines Systems, das für Freiheit und Wohlstand, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit steht.
Deswegen gewinnt das Zusammenwirken von EUEuropäische Union und NATONorth Atlantic Treaty Organization immer weiter an Bedeutung. Schließlich verfügen beide Organisationen über Instrumente zur Krisenbewältigung, die einander ergänzen. Hybride Einflussnahme und Desinformationskampagnen sind beispielsweise aktuelle Herausforderungen, denen durch eine enge Zusammenarbeit beider Organisationen entgegengewirkt werden kann. Oder nehmen Sie „Military Mobility“: Die Fähigkeit, unkompliziert und zügig Truppen durch Europa verlegen zu können, ist für unsere Sicherheit sehr relevant. Und nicht zuletzt erleben wir in der Corona-Krise, wie wichtig es ist, dass beide Organisationen effizient funktionieren und gut miteinander abgestimmt praktische Hilfe leisten, zum Beispiel in der Logistik.
Wäre die Bundeswehr und ihre Entwicklung über Jahrzehnte hinweg ohne die NATONorth Atlantic Treaty Organization überhaupt denkbar gewesen?
Die Wiederbewaffnung wäre außerhalb des Bündnisses kaum denkbar gewesen, zumal Deutschland zu diesem Zeitpunkt kein souveräner Staat war. Die Zustimmung der westlichen Alliierten zum Aufbau der Streitkräfte und ihre tiefe Einbettung in die Allianz waren wesentliche Voraussetzungen für die Gründung der Bundeswehr.
Und von Beginn an hat die Bundeswehr eine wichtige Rolle in der verteidigungspolitischen Strategie der NATONorth Atlantic Treaty Organization gespielt. Zunächst als Streitkraft des „Frontstaats“ Bundesrepublik, aber auch in den folgenden Phasen. Es ist eine große Stärke der NATONorth Atlantic Treaty Organization, dass sie sich stets auf die Bedrohungslage der jeweiligen Zeit auszurichten verstand. Deutschland und die Bundeswehr haben diese Entwicklungsschritte immer mitgestaltet und mitvollzogen – beispielsweise in den Out-of-area-Missionen zum internationalen Krisenmanagement nach dem Ende des Kalten Krieges oder heute durch die Enhanced Forward Presence im Osten des Bündnisses zur Stärkung der Abschreckung.
Unser Grundgesetz gibt uns den Auftrag, dem Frieden in der Welt zu dienen. Das tun wir nie allein, sondern immer im Einklang mit internationalem Recht, gemeinsam mit Partnern und Verbündeten. Die NATONorth Atlantic Treaty Organization bietet dafür einen verlässlichen, unverzichtbaren Rahmen.
Wie hat sich Deutschlands Rolle im Bündnis über die Jahrzehnte hinweg verändert? Welchen Anteil hatte Deutschland an der strategischen Entwicklung der NATONorth Atlantic Treaty Organization?
Die deutsche Rolle im Bündnis war immer wesentlich. Die Umsetzung der Strategie der Eindämmung hing auch von schlagkräftigen bundesdeutschen Streitkräften ab. Meiner Generation ist die Debatte zum sogenannten NATONorth Atlantic Treaty Organization-Doppelbeschluss noch gut in Erinnerung, genauso wie die Bilder der 100.000 Menschen, die sich damals zur Friedensdemonstration auf der Bonner Hofgartenwiese versammelten. Der damalige Bundeskanzler Schmidt hat in dieser Zeit enormen Weitblick und internationale Führungsstärke bewiesen.
Aber es gibt auch jüngere Beispiele für Deutschlands Gestaltungskraft im Bündnis. So hat Deutschland erheblichen Anteil daran, dass 1999 mit Polen, Ungarn und Tschechien die drei ersten ehemaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Paktes der NATONorth Atlantic Treaty Organization beigetreten sind. Die Regierung Kohl hat das als eine der ersten im Bündnis vorangetrieben und damit den Weg in die Zukunft aufgezeigt: zu einem einigen und freien Europa. Der jüngste Schritt auf diesem Weg erfolgte im März dieses Jahres – mit der Republik Nordmazedonien sind wir nun 30 Verbündete.
Ein anderes Beispiel ist Deutschland wichtiger Beitrag zur Reaktion des Bündnisses auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014. Die Linie der NATONorth Atlantic Treaty Organization gegenüber Russland ist eine kluge Mischung: Einerseits bekräftigt sie die Unverletzlichkeit des Bündnisgebietes, andererseits betont sie ihre Bereitschaft zum Ausgleich mit Russland, sofern sich Moskau an internationales Recht hält. Deutschland nimmt in beiderlei Hinsicht eine Führungsrolle wahr, von unserer Verantwortung in der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Speerspitze bis zur Aufrechterhaltung der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Russland-Grundakte.
Auch wenn es um die zukünftige strategische Ausrichtung des Bündnisses geht, bringen wir uns mit Ideen ein. Zum Beispiel war es eine deutsche Initiative, die zur Einrichtung der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Reflexionsgruppe in diesem Jahr geführt hat. Der ehemalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist einer der beiden Vorsitzenden dieser Gruppe.
Worin sehen Sie die derzeit wichtigsten Herausforderungen für die NATONorth Atlantic Treaty Organization?
Das Coronavirus ist momentan auch prominent auf der Agenda der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Das Bündnis unterstützt sehr bei der Bekämpfung der Pandemie, zum Beispiel durch viele logistische Maßnahmen. Und wir dürfen nicht vergessen: In solchen Krisen steigt die Gefahr, dass aggressive Akteure die Situation auszunutzen versuchen. Da ist es gut, dass die NATONorth Atlantic Treaty Organization alle ihre Aufgaben auch unter Bedingungen von Corona sehr sichtbar erfüllt. Sie sorgt dafür, dass aus der Gesundheitskrise keine Sicherheitskrise wird.
Wir müssen aber aus dieser Pandemie lernen. Der Themenkomplex „Sicherheit und Gesundheit“ wird mehr Aufmerksamkeit erhalten müssen. Und wir werden insgesamt über die Frage der Resilienz unserer Gesellschaften nicht nur mehr nachdenken, sondern auch entsprechend handeln müssen. Das heißt für die NATONorth Atlantic Treaty Organization, dass sie zunächst ihre eigene Resilienz – der Organisation und Strukturen, aber auch der Truppen – erhöhen muss. Mit ihrer militärischen Expertise kann und sollte sie außerdem die nationalen Anstrengungen für mehr Resilienz unterstützen. Ich wünsche mir hier eine engere Verzahnung, auch mit zivilen Akteuren.
Darüber vergessen wir natürlich nicht all die anderen Themenfelder, auf denen die NATONorth Atlantic Treaty Organization der-zeit Aufgaben zu bewältigen hat. Von den internationalen Einsätzen über die nächsten Erweiterungsschritte bis hin zum Umgang mit neuen Technologien – die Liste ist lang. Aber ich bin sehr zuversichtlich, auch weil ich den Zusammenhalt in der NATONorth Atlantic Treaty Organization nun als Ministerin noch einmal aus einer neuen Perspektive kennengelernt habe. Dieses Bündnis ist wirklich ein besonders hohes Gut.
Was würden wohl die Gründungsväter der NATONorth Atlantic Treaty Organization zu heutigen Debatten über das Zwei-Prozent-Ziel sagen?
Die Debatte um faire Lastenteilung begleitet das Bündnis seit jeher. Das ist in einem politischen Bündnis souveräner Staaten ja auch gar nicht anders zu erwarten. Allerdings vermute ich, dass die Debatte über die konkrete Zahl die Gründer schon verwundert hätte. Denn zum einen lag der Anteil der Verteidigungsausgaben während des Kalten Kriegs regelmäßig bei weit mehr als zwei Prozent. Und zum anderen verpflichtet Artikel 3 des NATONorth Atlantic Treaty Organization-Vertrages alle Mitglieder, ihre nationalen und gemeinsamen militärischen Fähigkeiten so zu gestalten, dass bestehende Bedrohungslagen abgewehrt werden können – und das geht eben nicht zum Nulltarif.
Darum geht es auch heute: Welche Fähigkeiten braucht die NATONorth Atlantic Treaty Organization, um die Sicherheit ihrer Mitglieder zu gewährleisten? Das zeigt der NATONorth Atlantic Treaty Organization-Planungsprozess ganz transparent auf. Und das machen wir auch in Deutschland so. Aus dem Weißbuch der Bundesregierung und unserem Fähigkeitsprofil lässt sich ganz schlüssig schrittweise bis 2031 ableiten, welche Fähigkeiten die Bundeswehr braucht – die wir dann auch in die NATONorth Atlantic Treaty Organization einbringen.
Deutschland stellt heute gut zehn Prozent der militärischen Fähigkeiten der NATONorth Atlantic Treaty Organization. Das ist fair und angemessen und wird im Bündnis hoch anerkannt. Deswegen setze ich mich dafür ein, dass dieser Anteil auch in den kommenden zehn Jahren erhalten bleibt. Dafür brauchen wir verlässliche und substanzielle Erhöhungen des Verteidigungsetats.
Welche ganz persönlichen Erfahrungen und Eindrücke ver-binden Sie mit Deutschlands 65. NATONorth Atlantic Treaty Organization-Jubiläum?
Es ehrt mich, dass ich im 70. Jubiläumsjahr der NATONorth Atlantic Treaty Organization als Verteidigungsministerin vereidigt wurde und nun in diesem Jahr auch unseren 65. Jahrestag mit unseren Soldatinnen und Sol-daten und zivilen Beschäftigten begehen darf. Ich habe von Beginn meiner Amtszeit an deut-lich gemacht, dass die NATONorth Atlantic Treaty Organization der Eckpfeiler unserer Sicherheit ist und bleibt. Wir müssen uns daher entsprechend einbringen und die NATONorth Atlantic Treaty Organization als das bewahren, was sie ist: unersetzbar.
Ich konnte nun schon mehrfach miterleben, wie sich 29, jetzt sogar 30 Alliierte – alle mit unter-schiedlichen Geschichten, Kulturen, geographischen Bedingungen – an einem Tisch zusam-mensetzen und zu grundlegenden sicherheitspolitischen Fragen immer wieder einen Konsens finden, um die gemeinsamen Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Trotz aller Schwie-rigkeiten ist uns in der Allianz allen bewusst, dass wir nur zusammen die heutigen Herausfor-derungen meistern können. Das macht die NATONorth Atlantic Treaty Organization zum stärksten Bündnis der Welt.
Die Fragen stellte Jörg Fleischer.
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