Deutsche und internationale Experten diskutierten in einem Workshop am 3. Juni intensiv darüber, auf welche Krisen sich Deutschland in Zukunft vorbereiten sollte und wie es seine Instrumente zur Krisenfrüherkennung weiter verbessern kann. Die Tagung im Auswärtigen Amt war der vierte Workshop in der Beteiligungsphase zum neuen Weißbuch und nahm erstmals ein querschnittliches Themenfeld in den Fokus.
In den bisherigen Workshops wurde wiederholt diskutiert, wie Deutschland Krisen wahrnimmt und auf diese reagiert. Um das Themenfeld der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements genauer zu beleuchten, lud das Auswärtige Amt in Zusammenarbeit mit dem BMVgBundesministerium der Verteidigung Akteure aus dem Bundestag, den Fachressorts, Think Tanks, Stiftungen und internationalen Organisationen zum Dialog ein. Der erste Expertenworkshop zu einem querschnittlichen Themenkomplex führte eine hohe Expertise zusammen und bestätigte den Ansatz der „Partizipationsphase“, möglichst viele Akteursgruppen in den Erstellungsprozess des Weißbuchs einzubeziehen.
Im Workshop wurde deutlich herausgestellt, dass Deutschland wiederholt die „bittere Erfahrung“ gemacht habe, eine Krise nicht frühzeitig erkannt zu haben. In der Regel fehle es nicht an Informationen, sondern an der Aufbereitung der Indikatoren zu einem Gesamtbild. Sowohl das BMVgBundesministerium der Verteidigung als auch das Auswärtige Amt haben daher in der vergangenen Zeit Strukturen und Abteilungen geschaffen, die die Themen Frühwarnung, Krisenprävention und Stabilisierung bündeln. Auch über die Notwendigkeit weiterer struktureller Maßnahmen wurde diskutiert, um die Fachministerien und nachgeordneten Behörden noch besser zu vernetzen und deren Handeln stärker abzustimmen.
Die Strukturen und Abstimmungsprozesse der Krisenfrüherkennung wurden sowohl auf nationaler sowie internationaler Ebene beleuchtet. Im Einzelnen wurden neben der Situation in Deutschland auch die institutionellen Strukturen und angewendeten Verfahren in der Europäischen Union und der OSZEOrganisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa dargestellt. Die Strukturen und Verfahren wurden als durchaus geeignet bewertet. Die verschiedentlich auftretenden Kapazitätsprobleme, vor allem im Personalbereich, stellten jedoch eine Herausforderung dar. Als Elemente einer effektiven Krisenfrüherkennung wurden eine systematische Nachrichtenauswertung, Risikobewertung und Analyse der entscheidenden Konfliktursachen genannt. Im Idealfall, dies wurde von verschiedener Seite betont, sei die Präsenz vor Ort ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Das Weißbuch richtet den Blick in erster Linie auf Entwicklungsperspektiven. Deshalb dürfen nicht nur aktuelle Krisen und Konflikte erfasst werden, sondern es muss auch hinterfragt werden, welche zukünftigen Herausforderungen auf die deutsche und internationale Sicherheitspolitik warten. Auch dieser Frage wurde im Rahmen des Expertenworkshops umfangreiche Aufmerksamkeit zuteil. Dabei spannten die Teilnehmer den Bogen vom Staatszerfall und den daraus resultierenden Folgen für regionale und internationale Sicherheit, über die möglichen ordnungspolitischen Folgen des Aufstiegs neuer Mächte, bis hin zu „game changern“, das heißt plötzlich auftretenden Ereignissen mit weitreichenden Folgen für die betroffenen Staaten. Exemplarisch wurde hier auf das Beispiel eines terroristischen Angriffs mit Massenvernichtungswaffen verwiesen.
Die Herausforderung für das Weißbuch 2016 bestehe darin, diese komplexe Gemengelage von Krisen und Konflikten zu erfassen, zu ordnen und damit den Ausgangspunkt für die zukünftige Sicherheitspolitik zu legen. Wiederholt sprachen sich hier Teilnehmer für eine Priorisierung dieser Herausforderungen aus. Wichtige Bestimmungsgrößen seien dabei die Eintritts- und Schadenswahrscheinlichkeit von Ereignissen sowie die Möglichkeiten zur effektiven Einflussnahme durch Deutschland und seine Verbündeten. Dies erfordere eine gehörige Portion sicherheitspolitischen Augenmaßes.
Zum wiederholten Mal brachten internationale Vertreter ihre Erwartung zum Ausdruck, dass Deutschland mehr sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen solle. Die Diskussion förderte für die auch durch Deutschland selbst bekundete Bereitschaft verschiedene Indikatoren zu Tage, die potenziell handlungsleitend sein könnten: Die geografische Nähe, die Unmittelbarkeit einer Gefahr, der euro-atlantische Wertekanon, die öffentliche Wahrnehmung sowie die tatsächliche Möglichkeit einer deutschen Einflussnahme. Ein wichtiges Strukturmerkmal der internationalen Politik insgesamt, die Globalisierung und die mit ihr einhergehende wachsende Vernetzung sämtlicher Weltregionen, sei hierbei ein wichtiger Treiber, der beträchtlichen Druck auf politische Entscheidungsträger entfalten könne. Das neue Weißbuch biete jenseits dieser situativen Dynamiken die Möglichkeit, den sicherheitspolitischen Handlungsrahmen für das sicherheitspolitische Engagement Deutschlands abzustecken.
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