Rede der Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen anlässlich des Feierlichen Gelöbnisses am 23. Mai 2019 auf dem Hambacher Schloss
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Minister Lewenz,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Weigel,
sehr geehrte Kollegen aus dem Deutschen Bundestag
und dem Landtag Rheinland-Pfalz,
sehr geehrter Generalleutnant Gerhartz,
heute ist ein besonderer Tag, und ich freue mich, ihn an diesem besonderen Ort mit Ihnen feiern zu können.
Ein besonderer Tag, vor allem für Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten. Sie sind heute hier angetreten, um öffentlich zu geloben, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen – und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.
Sie leisten dieses Gelöbnis heute, am 70. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes. Und Sie tun dies an diesem geschichtsträchtigen Ort, dem Hambacher Schloss.
Hier, wo im Mai des Jahres 1832 zehntausende Menschen zusammenströmten, um für die Idee einer nationalen, bürgerlichen Gesellschaft einzustehen. Einer Ordnung, die auf der Freiheit und den Grundrechten des Einzelnen beruht. Das erste Mal, dass dieser Ruf so laut und vernehmlich in Deutschland erklang.
Meine Damen und Herren,
das heutige Gelöbnis steht, wie unsere gesamte Bundeswehr, in der Tradition dieser bewegenden Ereignisse.
In der Tradition des Hambacher Fests und des Grundgesetzes.
In der Tradition der Demokratie, der Menschenwürde, der Herrschaft des Rechts und der wehrhaften Republik.
In der Tradition all dessen, was unser Land stark und lebenswert macht.
Und nur was lebenswert ist, ist auch wert, es zu verteidigen. So steht es bereits im ersten Handbuch zur Inneren Führung der Bundeswehr aus dem Jahr 1957.
Soldatinnen und Soldaten,
das ist das Besondere an Ihrem Treueversprechen: Sie versprechen nicht etwa, die Regierung zu verteidigen. Auch nicht das Volk selbst, sondern das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes.
Es lohnt sich in diesen aufgewühlten Zeiten, in denen eine Twitter-Meldung die nächste jagt, über diesen Unterschied einen Moment länger nachzudenken. Für mich verkörpert er den Geist der deutschen Republik, wie er in Hambach erstmals Gestalt annahm.
In der Republik entsteht der demokratische Wille nicht aus dem einfachen Zusammenzählen individueller Interessen. In der Republik formt sich der demokratische Wille erst durch das öffentliche Miteinander – durch mündige Bürgerinnen und Bürger, die gemeinsam um die beste Idee zur Gestaltung der gemeinsamen Zukunft ringen.
So, wie es jeden Tag geschieht – im Verein, auf dem Marktplatz, bei der Arbeit. Überall dort, wo Menschen vernünftig mit einander reden und im wahrsten Sinne Gesellschaft machen.
Dafür braucht es einen sicheren öffentlichen Raum, in dem Meinungen und Minderheiten geschützt sind, in dem unverrückbare gemeinsame Werte gelten und Regeln durchgesetzt werden.
Wie klug und elegant unser Grundgesetz diese Idee ganz an den Anfang stellt:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Das ist das universelle, unverbrüchliche Wertefundament.
Es ist aber nur der eine Teil des ersten Absatzes des ersten Artikels. Der andere Teil lautet:
„Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Der Schriftsteller Navid Kermani hat dies einmal das „kaum merkliche Paradox“ des Grundgesetzes genannt – die Würde ist unantastbar und bedarf dennoch des staatlichen Schutzes.
Dieser Satz unserer Verfassung macht den Staat vom Herrscher zum Diener. Der Staat dient seinen Bürgern, indem er ihnen ermöglicht, ihre Freiheit auszuüben – und so einen gemeinsamen demokratischen Willen zu entwickeln.
Dafür braucht es einen starken Rechtsstaat. Und ein starker Rechtsstaat braucht starke Streitkräfte. Er braucht Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten. Zum Schutz vor Bedrohungen von außen. Und als Zeichen seines Willens zur Selbstbehauptung – als klares Zeichen, dass wir unser Land lieben und dass wir bereit sind, unsere Freiheit zu verteidigen.
Wir alle spüren doch, dass der Wind um uns herum rauer ist.
Krisen und Konflikte rücken näher an uns heran. Ihre Auswirkungen betreffen uns ganz unmittelbar, hier zuhause, in unserer Heimat. Deshalb brauchen wir eine einsatzbereite Bundeswehr.
18.000 Männer und Frauen der Bundeswehr sind derzeit in Einsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen gebunden. Vom Baltikum über den Kosovo bis nach Mali schützen sie das Gebiet unseres Bündnisses, verhindern sie Chaos und Gewalt oder helfen sie bei der Ausbildung befreundeter Sicherheitskräfte.
Diese Leistung unserer Soldatinnen und Soldaten verdient höchste Anerkennung. Ob sie ihren Dienst hier in Deutschland oder im Ausland leisten – sie leisten ihn stets auf dem Boden des Grundgesetzes. Das ist eine weitere bewundernswerte Errungenschaft unseres Grundgesetzes: Es verknüpft unsere deutschen Interessen mit dem Wert der internationalen Zusammenarbeit.
Das Grundgesetz gibt uns einen eindeutigen Auftrag in seiner Präambel: Es verpflichtet Deutschland, so heißt es wörtlich, auf ein vereintes Europa hinzuwirken und dem Frieden in der Welt zu dienen.
Patriotismus und Weltoffenheit, nationales und internationales Handeln schließen sich eben nicht aus – sondern sie begünstigen einander. In unserer Bundeswehr leben wir diesen Auftrag mit großer Überzeugung, seit jeher. Es sind unsere nationalen Streitkräfte, aber sie sind zugleich fest eingebunden in die Nato und die Europäische Union.
Schon Hambach war, im Zuge der nationalen Befreiungskämpfe, ein europäisches Ereignis. Heute haben wir tief verinnerlicht, dass Europa zusammengehört. Dass unsere Sicherheit unteilbar ist. Dass wir in Deutschland nur in Frieden und Wohlstand leben können, wenn auch die Sicherheit unserer Partner und Verbündeten gewährleistet ist. Und dafür stehen wir ein – ganz konkret.
In Einsätzen und Übungen stehen unsere Soldatinnen und Soldaten Schulter an Schulter mit ihren Kameradinnen und Kameraden aus Kanada und den Vereinigten Staaten, aus den Ländern der Europäischen Union und befreundeten Nationen aus aller Welt. Für den Frieden in der Welt und unsere Sicherheit und Freiheit hier zuhause.
Meine Damen und Herren,
die freiheitliche Ordnung, in der wir heute leben dürfen, steht unter Druck. Sie muss geschützt werden vor denjenigen, die ihre Macht über das Recht stellen und ihre Muskeln spielen lassen – von der Krim bis zum Südchinesischen Meer. Aber auch in der EUEuropäische Union und Deutschland.
Zwar sind unsere politische Kultur und unsere freiheitliche Ordnung gerade im historischen Vergleich stabil und kraftvoll. Doch wir dürfen sie nie für selbstverständlich nehmen.
Unsere Achtung vor dem Rechtsstaat und seinen Institutionen, die Sorgfalt und der Respekt in unserer politischen Debatte, diese hohen Güter müssen immer wieder aufs Neue gepflegt und vermittelt werden.
Dazu braucht es mehr als den geschützten öffentlichen Raum, von dem ich eingangs sprach. Es braucht vor allem die Bürgerinnen und Bürger, die sich engagieren, die sich einbringen. So wie Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten.
Sie haben sich für den Dienst für Ihr Land, für den Dienst in der Bundeswehr entschieden. Ich danke Ihnen herzlich dafür. Und ich ermuntere Sie, als Staatsbürger in Uniform:
Stehen Sie zu Ihren Überzeugungen, vertrauen Sie Ihrem moralischen Kompass und sagen Sie, was ist.
Wir brauchen Ihre klugen Köpfe und Ihre Tatkraft – in der Bundeswehr, aber auch in der Gesellschaft insgesamt.
Wir bauen auf Sie, die Zukunft unseres Landes gemeinsam zu gestalten.
Sie tun dies durch Ihren Dienst in besonderer Weise. Dafür haben Sie unseren Respekt und unsere Anerkennung.
Vielen Dank!
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