Das Verteidigungsministerium hat im September 2015 bekannt gegeben, dass das G36 als Standardgewehr der Bundeswehr abgelöst wird. Die Entscheidung stützt sich auf Expertengutachten, in denen Präzisionsmängel unter bestimmten Einsatzbedingungen festgestellt wurden. Nach über zwanzig Jahren in der Truppe soll das G36 schrittweise durch ein neues Sturmgewehr ersetzt werden, das den aktuellen und absehbaren Anforderungen entspricht.
Das G36 wurde 1996 als Standardgewehr der Bundeswehr eingeführt. Das unter dem Namen „HK 50“ von Heckler & Koch entwickelte Sturmgewehr hatte sich unter zehn marktverfügbaren Modellen durchgesetzt. Sein Vorgänger, das Gewehr G3, war zu dem Zeitpunkt fast 40 Jahre in Nutzung. Als es 1959, nur wenige Jahre nach der Aufstellung der Bundeswehr, beschafft wurde, befanden sich die Welt und das geteilte Deutschland mitten im Kalten Krieg. Das neue Gewehr sollte dagegen leichter und flexibler sein, um es vor dem Hintergrund neuer sicherheitspolitischen Herausforderungen und gestiegener Bündnisverpflichtungen in möglichst vielen Einsatzszenarien nutzen zu können.
In Zusammenhang mit Meldungen über eine mangelnde Treffgenauigkeit von heißgeschossenen Gewehren gab das Einsatzführungskommando im November 2011 und März 2012 Weisungen an die Soldaten in Afghanistan aus. Sie umfassten Informationen über den Einfluss hoher Temperaturen auf das G36 sowie Nutzungshinweise für seinen Gebrauch bei heißgeschossenen Rohren. Das BMVgBundesministerium der Verteidigung sah sich veranlasst, die Leistungsfähigkeit des G36 genauer zu prüfen. Erste Ergebnisse legten im Februar 2014 nahe, dass es sich nicht um Mängel am Gewehr, sondern um fehlerhafte Munition handeln würde. Der Befund ließ sich jedoch nicht erhärten. Nach verschiedenen Berichten und teils widersprüchlichen Bewertungen stoppte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Sommer 2014 die weitere Beschaffung des G36 und ordnete eine umfassende Untersuchung des Gewehrs unter Einsatzbedingungen an.
In Zusammenarbeit mit dem unabhängigen Ernst-Mach-Institut in Freiburg, der Wehrtechnischen Dienststelle für Waffen und Munition 91, dem Wehrwissenschaftlichen Institut für Werk- und Betriebsstoffe und dem Bundesrechnungshof wurden umfangreiche Tests am G36 durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass es bei „wechselnden klimatischen Bedingungen“ und „schuss-induzierter Erwärmung“ zu einer „Streukreisaufweitung“ und „Treffpunktverlagerung“ kommt. Das bedeutet: In heißen und feuchten Gebieten, bei hoher Temperatur der Waffe sowie steigender Schussfrequenz – so wie beim Einsatz in Afghanistan – kann es zu spürbaren Abweichungen in der Trefferleistung kommen. Am 30. März 2015 informierte Ministerin von der Leyen die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Untersuchung und kündigte Konsequenzen an.
Drei Tage später erklärte Generalinspekteur Volker Wieker den Soldatinnen und Soldaten die Befunde. In einer Weisung gab er Richtlinien über einen „lage- und auftragsgerechten Waffenmix“ im Einsatz und Vorkehrungen, um eine Überhitzung des G36 zu vermeiden, vor. Darüber hinaus stellte Wieker ein Team aus einsatzerfahrenen Soldaten zusammen, das die Umsetzung der Weisung in den Einsatzgebieten unterstützen sollte. Mit den Sofortmaßnahmen trat das Ministerium einer möglichen Verunsicherung der Soldaten entgegen und vermittelte Handlungssicherheit, erläuterte Generalinspekteur Wieker im Interview mit der Redaktion der Bundeswehr. Das „Team Infanterie“ unter Brigadegeneral Gert-Johannes Hagemann hat im September 2015 eine Taschenkarte für den weiteren Umgang mit dem Gewehr verfasst. Sie ergänzt die geltenden Waffen- und Schießvorschriften der Bundeswehr.
Parallel dazu ordnete das BMVgBundesministerium der Verteidigung weitere Untersuchungen an. Dem früheren Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei wurde die Leitung der „G36-Kommission“ übertragen. Gemeinsam mit dem ehemaligen Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus und einem Mitarbeiterstab im BMVgBundesministerium der Verteidigung untersuchten sie die Erfahrungen mit dem G36 in Gefechtssituationen. Die Kommission konnte nach umfangreichen Recherchen und Befragungen von 150 Soldatinnen und Soldaten keine Hinweise finden, dass Soldaten durch Präzisionsmängel im Einsatz zu Schaden gekommen sind.
Im April 2015 schaltete sich der Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages in die Aufarbeitung der Vorgänge zum G36 ein. Er bat um Aufklärung und Einsicht in alle relevanten Akten und lud die Verteidigungsministerin und weiteres militärisches Spitzenpersonal zu seinen Sitzungen ein. In insgesamt vier Sitzungen informierte Ursula von der Leyen die Ausschussmitglieder über den Sachstand zum Gewehr, die laufenden Untersuchungen und den Beschluss, dass das G36 „in diesem Konstruktionsstand“ in der Bundeswehr keine Zukunft mehr habe.
Bei einer der Sitzungen des Verteidigungsausschusses hatten Vertreter des Ministeriums eine „Zwischenlösung“ angekündigt. Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder bewilligte die Beschaffung von 600 Sturmgewehren vom Typ G27P und 600 leichten Maschinengewehren MG4, um den Handwaffenmix in den Auslandseinsätzen zu verbessern. Beide Modelle werden bereits in der Bundeswehr verwendet und konnten somit vergleichsweise schnell bereitgestellt werden. Langfristig werde ein neues Standardgewehr beschafft, erklärte das BMVgBundesministerium der Verteidigung am 8. September 2015. Es entschied sich gegen eine Verbesserung des G36 und für ein neues Gewehr. Zwei Argumente wurden zur Begründung der Entscheidung angeführt: Erstens laufe im Jahr 2016 die ursprünglich auf 20 Jahre ausgelegte Nutzungsdauer des G36 aus und, zweitens, gingen die Forderungen der Truppen weit über eine Produktverbesserung hinaus.
Die Frage, ob der bestehende Beschaffungsvertrag eine ausreichende Rechtsgrundlage bietet, um gegenüber Heckler & Koch Gewährleistungsansprüche geltend machen zu können, wird vor dem Landgericht Koblenz verhandelt. Heckler & Koch hat mit Klageschrift vom 3. Juli 2015 eine negative Feststellungsklage erhoben. Einfluss auf die Entscheidung des BMVgBundesministerium der Verteidigung zur Ablösung des G36 wird das Urteil nicht haben.
Am 3. Februar 2016 hat der Generalinspekteur der Bundeswehr die Anforderungen an ein neues Sturmgewehr für die Truppe formuliert. Aufgrund des großen Zeit- und Kostenrisikos einer kompletten Neuentwicklung und einer ersten Marktsichtung, nach der Gewehre existieren, die die bestehenden Anforderungen erfüllen könnten, deutet derzeit vieles auf die Beschaffung einer marktverfügbaren Waffe hin. Das Vergabeverfahren für das neue „Sturmgewehr Bundeswehr“ könnte Ende 2016 beginnen. Die Entscheidung für ein bestimmtes Modell wird jedoch frühestens 2018 fallen können. Dies liegt vor allem daran, dass die Modelle aller im Wettbewerb beteiligten Hersteller umfangreichen Vergleichstests unterzogen werden müssen. Die ersten Serienwaffen könnten die Truppe nach heutigem Stand ab 2020 erreichen.
Sachmangel und negative Feststellungsklage |
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Der Begriff des Sachmangels ist im Paragraf 434 des Bürgerlichen Gesetzbuches definiert. Entscheidend ist die Frage, was die Parteien beim Abschluss des (Kauf-)Vertrages vereinbart haben. Fehlt eine der darin vereinbarten Eigenschaften, liegt ein Mangel vor. Wenn eine besondere (Detail-)Vereinbarung über die Beschaffenheit des Vertragsgegenstandes fehlt, ist die generelle Eignung zur vertragsmäßigen Verwendung entscheidend. Sinn einer negativen Feststellungsklage ist es, durch das Gericht das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses feststellen zu lassen, das vom Beklagten behauptet wird. Die Klageform bietet dem Kläger also die Möglichkeit, einen Lebenssachverhalt (mit Potenzial für eine spätere Leistungsklage) einer gerichtsfesten Klärung zuzuführen. |