Seit März 2018 dient Thomas Silberhorn als einer von zwei parlamentarischen Staatssekretären bei der Verteidigungsministerin. Zu seinen Aufgaben gehört die Unterstützung der Ministerin bei den Themen Ausrüstung und internationale Rüstungspolitik, Planung, Haushalt und Controlling, Recht sowie Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen.
Björn Lenz: Sie waren vor Ihrer Zeit im Verteidigungsministerium bereits Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Welche Unterschiede können Sie in der Rückschau feststellen?
Staatssekretär Thomas Silberhorn: Das Bundesverteidigungsministerium unterscheidet sich von anderen durch seine schiere Größe, durch die Vielzahl der Akteure, durch die Komplexität der Aufgabe und der Verfahrenswege. Deswegen ist die Kommunikation zwischen Beteiligten von entscheidender Bedeutung. Wie man etwas angeht, damit man zum Ergebnis kommt, das ist entscheidend.
Für mich war das Projekt „Haushaltsmittel Kommandeure“ sehr lehrreich. Dass es funktioniert hat, hat vielen die Augen geöffnet, dass man Dinge auch anders machen kann. Ich halte es für eine grundlegende sicherheitspolitische Anforderung, dass wir nicht eindimensional denken und arbeiten, sondern uns redundant aufstellen. Zentrale Steuerung ist wichtig, aber dezentrale Wege müssen auch funktionieren.
Sie haben die „Flexiblen Haushaltsmittel Kommandeure“ schon angesprochen. Wie kam es zu diesem Projekt?
Ich hatte ein Vier-Augen-Gespräch mit der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, drei Monate nach meinem Amtsantritt. Ich habe ihr dort Vorschläge für Projekte unterbreitet, darunter die flexiblen Haushaltsmittel für Kommandeure.
Bei meinen Besuchen in der Truppe ist schnell deutlich geworden, dass es in vielen Verbänden Ausstattungslücken gibt, die oft nur in langwierigen Verfahren gedeckt werden können. Vielfach werden Bedarfe, die vor Ort offenkundig sind, im Beschaffungsvorgang nicht ausreichend priorisiert. Dadurch kommt man im Verband nicht weiter, und im schlimmsten Fall entsteht Frust.
Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Es hat gut zehn Monate gedauert, um das Projekt an den Start zu bringen. Ich habe allein durch dieses Vorhaben das Verteidigungsministerium und den Geschäftsbereich ziemlich gut kennengelernt: die Arbeitsweise der Akteure, die Kommunikation im Haus und die komplexe Verwaltungsorganisation.
Ich habe immer versucht, mit punktuellen Interventionen Strukturen zu verbessern. Insofern steht das Projekt „Flexible Haushaltsmittel für Kommandeure“ beispielhaft für meine Arbeitsweise. An einer Stelle in die Tiefe zu graben, um von dort wieder in die Breite zu kommen.
Was ist das Besondere am Amt des Parlamentarischen Staatssekretärs?
Als Parlamentarischer Staatssekretär ist es meine erste Aufgabe, die Belange der Bundeswehr im Bundestag voranzubringen, im Verteidigungs- und im Haushaltsausschuss. Im Haus ist die Besonderheit meines Amtes, dass ich einerseits nicht weisungsbefugt bin, andererseits aber auch niemandem weisungsunterworfen.
Ich bin der Ministerin beigeordnet, und was ich tun darf, hängt an Ihrem Vertrauen und an meiner Loyalität. Ich habe meine Aufgabe auch darin gesehen, den Stellenwert der Bundeswehr in unserer Gesellschaft und ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit zu steigern. Mit diesem Ziel wurde das Bahnfahren in Uniform – ebenfalls nach einem Vier-Augen-Gespräch mit Ursula von der Leyen – aufgesetzt und von Annegret Kramp-Karrenbauer gegen viele Widerstände realisiert.
Der Erfolg übertrifft alle Erwartungen. Im Verwaltungsgang wäre das nicht möglich gewesen. So etwas erfordert politische Initiative und die politische Durchsetzungskraft der Leitung.
Das Thema Rüstung und Ausrüstung war Ihr Schwerpunkt. Was war Ihnen hier besonders wichtig?
Mir kam es immer darauf an, dass die Anliegen der Soldaten stärker berücksichtigt werden und nicht durch Priorisierungszwänge verdrängt werden. Die gibt es, weil die Finanzdecke eng ist und nicht alles finanziert werden kann, schon gar nicht gleichzeitig.
Wenn wir große Rüstungsvorhaben anstoßen, die auf Jahre hinaus viele Milliarden kosten, dann führt das schnell zu Verdrängungseffekten zu Lasten tausender kleinvolumiger Vorhaben. Die sind aber für die Soldaten oft viel wichtiger als das Großgerät. Deswegen habe ich einen politischen Bewertungsfaktor eingeführt, der bei mir immer im Kopf war, und den ich scherzhaft „MGZS“ genannt habe: Das ist die „Menge glücklicher und zufriedener Soldaten“ pro eine Million Euro Invest . Mit diesem Faktor können Sie für jede Fregatte, für jeden Panzer, für jedes ungeschützte Transportfahrzeug und für jedes andere Beschaffungsvorhaben überschlägig berechnen, wie viele Soldaten davon profitieren.
Das macht deutlich, dass ein großer Anteil unserer Mittel und unserer Aufmerksamkeit in große Rüstungsprojekte fließt, während vergleichsweise kleine Dinge, die aber für die Truppe wichtig sind, oft nicht ausreichend priorisiert werden können. Das erzeugt Unzufriedenheit und beeinträchtigt am Ende auch die Einsatzbereitschaft.
Wie kann die Einsatzbereitschaft erhöht werden?
Die Ausrüstung und persönliche Ausstattung der Soldaten muss in vollem Umfang vorhanden sein. Wir haben deshalb nicht nur das „dynamische Verfügbarkeitsmanagement“ beendet, wir haben den Begriff der „aufgabenorientierten Ausstattung“ um die klare politische Zielsetzung ergänzt, dass die Truppe „Vollausstattung“ erhält. Das bedeutet nicht, dass die Bundeswehr alles bekommt, was sie sich wünscht, aber doch alles, was erforderlich ist, damit sie ihren Auftrag vollständig erfüllen kann.
Im Bundestag gibt es durchaus Konsens, dass die Bundeswehr das, was für ihren Auftrag notwendig ist, haben soll. Deswegen wurden viele Rüstungsprojekte im Haushaltsausschuss ohne Aussprache bewilligt.
Eines meiner ersten Projekte im April 2018 waren circa 1,3 Milliarden Euro für Schutzwesten, Gefechtshelme und Kampfstiefel – und zwar für alle Soldaten, die das brauchen. Das ist selbstverständlich vom Haushaltsausschuss gebilligt worden. Auch wenn die Auslieferung noch dauert: politisch ist es längst durch und finanziert.
Während Ihrer Amtszeit ist der Verteidigungsetat deutlich gewachsen, Verbesserungen sind in der Truppe angekommen. Reicht das?
Wir haben dafür gesorgt, dass die großen Rüstungsprojekte in der Bundesregierung und im Bundestag gesondert diskutiert und finanziert werden. Wir haben gezielt versucht zu vermeiden, dass die Großprojekte kleinvolumige Vorhaben verdrängen, indem wir gesagt haben: Die kleinen Dinge, die den täglichen Dienst der Soldaten betreffen, müssen wir aus eigener Kraft vollständig planen, finanzieren und beschaffen.
Wenn das Geld für Großprojekte nicht reicht, weil sie vom Volumen her unseren Etat für rüstungsinvestive Ausgaben deutlich übersteigen, dann können wir diesen Konflikt nicht dadurch lösen, dass wir Kampfstiefel oder Schutzwesten einsparen. Dann müssen wir in der Bundesregierung und mit dem Bundestag reden, denn Sicherheit ist eine gesamtstaatliche Aufgabe.
Wenn diese Aufgabe nicht ausreichend alimentiert wird, dann kann die geforderte Leistung auch nicht abgerufen werden. Einen Preis muss man immer zahlen – entweder den finanziellen Preis für die volle Ausstattung der Bundeswehr oder den politischen Preis, dass man unsere militärischen Fähigkeiten nicht in dem mit NATONorth Atlantic Treaty Organization und Europäischer Union vereinbarten Umfang darstellen kann.
Wie könnte das Problem der oft schwierigen Finanzierung von langfristigen Großprojekten angegangen werden?
Das Bundesverteidigungsministerium hat einen der großen Investitionsetats. Wir haben rüstungsinvestive Ausgaben in diesem Haushaltsjahr von rund 10,3 Milliarden Euro. Die Volumina der Großprojekte übersteigen jedoch diesen jährlichen Handlungsspielraum bei Weitem. Das wird auch künftig so sein.
Deswegen wäre ein Streitkräfteplanungsgesetz eine wichtige Neuerung. Es würde eine gesetzliche Planungsgrundlage schaffen, denn bisher kann man – wegen der Jährlichkeit des Haushalts – ohne eine gesicherte Finanzierung nicht mit Außenwirkung auftreten.
Weil die Finanzierung von Großprojekten oft über viele Jahre erfolgt, reicht die mittelfristige Finanzplanung und die damit verbundene Finanzierbarkeit zukünftiger Ausgaben nicht aus, um die Planung großer Projekte frühzeitig voranzutreiben. Das kostet unnötig Zeit und Geld und sollte deshalb mit einem Streitkräfteplanungsgesetz auf neue Füße gestellt werden.
Was sollte in Zukunft noch passieren?
Ich halte es für notwendig, dass man die bundeswehreigenen GmbHs weiter befähigt, unternehmerisch zu handeln. Bei der BwFuhrparkservice GmbHGesellschaft mit beschränkter Haftung und der BWI GmbHGesellschaft mit beschränkter Haftung ist uns das gelungen. Beide können sehr schnelle Beschaffungsprozesse anstoßen, wenn sie entsprechend mit Eigenkapital ausgestattet werden.
Bei der HILHeeresinstandsetzungslogistik GmbHGesellschaft mit beschränkter Haftung steht die Unternehmensstrategie noch aus, bei der BwBekleidungsManagement GmbHGesellschaft mit beschränkter Haftung ist die Reform für die nächste Legislaturperiode eingeleitet.
Werden Sie Ihre Arbeit als Staatssekretär im BMVgBundesministerium der Verteidigung vermissen?
Der Abschied fällt mir schon schwer. Ich habe der Bundeswehr mit Herzblut gedient. Die Soldatinnen und Soldaten verdienen einen Bundestag, der hinter der Truppe steht, und eine Leitung, die sich vor die Truppe stellt. Wenn die Bundeswehr für uns, für unser Recht und unsere Freiheit kämpfen soll, braucht sie einen Bundestag und eine Bundesregierung, die für die Bundeswehr kämpfen.
Mit dieser Überzeugung bin ich von Anfang an in dieses Amt gegangen. Ich habe in den vergangenen 45 Monaten 145 Dienststellen in Deutschland besucht und 57 Auslandsdienstreisen in 41 Länder absolviert, obwohl wir wegen Corona in den letzten 20 Monaten deutlichen Einschränkungen unterworfen waren. Ich habe versucht, meine Zeit zu nutzen – und ich denke, das habe ich getan.
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