Ganz im Sinne einer 360-Grad-Betrachtung spielen auch Fragen zur gesellschaftlichen Verankerung und Ethik der Streitkräfte eine Rolle. In Vorbereitung des Workshops „Bundeswehr und Gesellschaft“ sprach die Redaktion der Bundeswehr mit Vertretern der katholischen und evangelischen Militärseelsorge.
Dr. Hartwig von Schubert ist Militärdekan an der Führungsakademie der Bundeswehr. Er sieht das Verhältnis von Bundeswehrsoldaten und ziviler Bevölkerung entspannt: „Natürlich ist es so, dass Soldaten zu Zeiten des Kalten Krieges viel präsenter waren als dass das heute der Fall ist. Mit dem Wegfall der Wehrpflicht hat dieses ‚Verschwinden aus dem Alltag‘ jedoch wenig zu tun. Das war nur ein letzter konsequenter Schritt. Vielmehr ist es schlicht auf den Abbau der Streitkräfte im Allgemeinen zurück zu führen.“
Probleme sieht von Schubert eher im eigenen Umgang der Bundeswehr mit ihrer Berufsethik. „Das hohe Gut der Inneren Führung sollte nicht wie eine Monstranz umhergetragen, sondern weiterentwickelt werden. Fragen der Inneren Führung werden heute international unter dem Titel Military Ethics, Éthique Militaire oder Wehrethik und im Rahmen des Rechts bewaffneter Konflikte / Law of Armed Conflict diskutiert, daran sind Soldaten der Bundeswehr noch viel zu wenig beteiligt. Viele Fragen teilt eine soldatische Berufsethik auch mit anderen Berufsethiken, der Medizin- oder der Wirtschaftsethik, auch hier wäre ein Austausch wichtig, der bisher kaum stattfindet.“
Monsignore Reinhold Bartmann, Generalvikar des katholischen Militärbischofs, interpretiert die Ethik hier aus christlicher Perspektive. Die religiös motivierte Gewalt von Terroristen steht dabei im klaren Widerspruch zur Friedensethik des christlichen Glaubens. Gibt es demnach für Christen überhaupt einen „gerechten Krieg“? „Der Primat der Gewaltfreiheit als Konstruktionsprinzip der Friedensethik schließt nicht aus, unter bestimmten Umständen die Rechtmäßigkeit militärischer Gewaltanwendung anzuerkennen“, so Bartmann, insbesondere dann wenn es gilt, Menschen vor massivem Unrecht und brutaler Gewalt zu schützen.
Bezüglich der Frage „Präsenz“ der Bundeswehr in der Gesellschaft hat von Schubert ganz pragmatische Vorschläge. Man solle die Laufbahn der Offiziere viel stärker verweben mit zivilen Verwendungen. Nicht jeder Stabsoffizier müsse alle Stationen der Truppenführung absolvieren, wenn er eigentlich als Experte in einem ganz spezifischen Bereich arbeite. Dort sei es vielmehr wichtig, auch innerhalb einer militärischen Laufbahn in das entsprechende zivile Spiegelressort wechseln zu können.
Ebenso sei es wichtig, die Bundeswehr stärker für Quereinsteiger zu öffnen. Die katholische Militärseelsorge erinnert daran, dass Soldaten auch durch ihre Mitgliedschaften in Parteien, Verbänden und weiteres ehrenamtliches Engagement, zum Beispiel im Elternbeirat der Schule, eine wichtige Integrationsleistung erbringen.
Für den Katholischen Militärbischof Dr. Franz-Josef Overbeck, mit einer der Teilnehmer am Workshop, ist der interdisziplinäre Ansatz wichtig: „Sicherheitspolitik ist nicht nur militärisch zu denken. Sicherheitspolitik ist präventiv, ist entwicklungspolitisch, wirtschaftspolitisch und diplomatisch zu denken. In diesem Sinne müssen die heutigen Probleme im weiten Sinne politisch begriffen werden.“
Dem stimmt auch von Schubert zu: „Das Konzept der Jugendoffiziere zum Beispiel ist hervorragend. Warum verfolgen nicht auch das Auswärtige Amt mit ‚Jugenddiplomaten‘ und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ähnliche Konzepte?“ Das würde helfen, die vielschichtigen Herausforderungen in der Sicherheitspolitik gegenüber der Öffentlichkeit zu vermitteln.