Für den Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Generalmajor Jürgen Weigt, sind die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf die Herausforderungen neuer Konfliktformen gut vorbereitet. Gemeinsam mit weiteren Sicherheitsexperten diskutierte er den Einfluss hybrider Bedrohungen auf westliche Gesellschaften.
Bei der Besetzung der Krim waren weder die russischen Soldaten noch ihre Fahrzeuge mit Hoheitsabzeichen gekennzeichnet. Woher sie kamen war nahliegend; aber zunächst nicht zu beweisen. Bei der hybriden Kriegführung geht es eben auch darum, Verwirrung zu stiften. Als sich der Nebel aus Information und Desinformation lichtete, waren die Fakten bereits geschaffen und die ukrainische Halbinsel annektiert. „Hybride Kriege – Die Ohnmacht der Gegner“ ist der Titel der Veranstaltung, zu der das Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebisZentrum für ethische Bildung in den Streitkräften) am 8. Juli in Berlin geladen hat.
Der Politologe Herfried Münkler erklärt, warum unsere Gesellschaften von einem Vorgehen wie auf der Krim oder in der Ostukraine überrascht wurden. In der Geschichte des Völkerrechts gehe es darum, Begriffe klar voneinander zu unterscheiden. Münkler, Professor für Theorie der Politik an der Berliner Humboldt-Universität, spricht von „binären Codierungen“ wie Staatenkrieg oder Bürgerkrieg und Krieg oder Frieden. So werde Ordnung konstituiert und die Übergänge von einem Zustand in den anderen könnten juristisch erfasst werden. „Kriegserklärung, Waffenstillstand, Friedensschluss: Daran haben wir uns gewöhnt.“
Hybride Kriege stehen nun für das unterlaufen dieser Ordnungssysteme durch einen Mix von verdeckten und offenen Operation. Im Rahmen hybrider Konflikte werde die Entscheidung abgelöst durch Interpretation, sagt Münkler. „Ist das nun ein Angriff oder nicht?“ Den Kontrapunkt in der von Jochen Bittner moderierten Runde setzt hier Mary Ellen O’Connel: Die Professorin für Völkerrecht an der Universität Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana plädiert dafür, in Debatten die „klaren Linien“ des Völkerrechts weiterhin zu respektieren. „Die Grenzen sind nicht verwischt.“ Der Begriff Hybrider Krieg sei bloß ein „Trojanisches Pferd“, um eine „Krisenmentalität“ zu erzeugen.
zebisZentrum für ethische Bildung in den Streitkräften-Diskussion: Hybride Kriegführung stellt die Sicherheitspolitik vor große Herausforderungen.
Die Frage, ab wann es sich um einen Krieg handelt, greift auch Bernd Zywietz auf. Der Film- und Medienwissenschaftler von der Universität Mainz erläutert, dass die Medienlandschaft viele Interpretationen liefern würde. Propaganda könne Zweifel sähen. „Hybrid bezeichnet ein verändertes Wahrnehmungs- und Kommunikationsverhalten“, so Zywietz. Hinsichtlich der Reaktion auf Hybride Maßnahmen habe dieses „Medienmisstrauen“ natürlich Konsequenzen für den Rückhalt in der Bevölkerung. Auch der Militärethiker David Whetham vom Londoner King’s College betont die Wirkung hybrider Bedrohungen tief in die Zivilgesellschaften hinein. „Die Reaktion kann nicht nur militärisch sein“, so sein Urteil.
Christian Mölling hat sich die Angreifbarkeit westlicher Gesellschaften genauer angesehen. Der SWPStiftung Wissenschaft und Politik-Wissenschaftler hat vier „Verwundbarkeiten“ identifiziert, auf die Einzelphänomene hybrider Kriegführung wie Propaganda, irreguläre Krieger und Cyberattacken abzielen könnten: Erstens sei die territoriale Unversehrtheit in Europa wieder bedroht. Zweitens sei die mangelnde politische Geschlossenheit Europas gegenüber Aggressoren eine Verwundbarkeit. Die wirtschaftlichen Verflechtungen würden einen weiteren wunden Punkt bilden. Und – viertens – die Pluralität westlicher Gesellschaften hat zu Verwundbarkeiten geführt. Mölling meint damit die Destabilisierung von innen heraus (Aufwiegeln von Minderheiten) sowie ungeschützte Infrastrukturen. „Wir können ziemlich einfach angegriffen werden und das löst die Ohnmacht zurzeit bei uns aus“, so Mölling.
Generalmajor Weigt stellt fest, „dass unsere Schwäche unsere eigentliche Stärke ist: Recht und Gesetz, Moral und Ethik“. Darin liege Provokationspotenzial. Gesellschaft, Politik und Militär hätten zwar in den letzten Jahren einen Lernprozess durchgemacht. „Wir haben akzeptiert, dass Kriege und Konflikte sich nicht an Regeln halten.“ Aber die hybriden Bedrohungen zeigten, dass Konflikte und Kriege neue Regeln aufstellen, die leider sehr erfolgreich seien. Die Entwicklung von Widerstandsfähigkeit – „Resilienz“ – gegenüber Provokationen sei die Herausforderung. Die Bundeswehr sieht er hier aber gut aufgestellt.
Das Konzept der Inneren Führung stelle den Soldatinnen und Soldaten das „moralisch, ethische Rüstzeug“ zur Verfügung, um Gewissensentscheidungen treffen zu können und moralisch urteilsfähig zu sein, „selbst wenn die Bedingungen eines Krieges uns an unsere Grenze führen“, sagt Generalmajor Weigt gegenüber dem Bundeswehrsender Radio Andernach. Der Befehl dürfe nicht über dem Gewissen stehen. Das Wertegerüst der Inneren Führung sei ein „Kompass“ für die Soldaten. Insofern brauche die Bundeswehr auch keine hybriden Krieger, um auf moderne Bedrohungen reagieren zu können. Der Zweck heilige nicht die Mittel, sondern „Was ist richtig, was ist falsch?“, sei die entscheidende Frage.