Vertreter aus Politik, Ministerien, internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und Militär haben am 8. September in Berlin bei einem Workshop das Thema „Perspektiven Entwicklung und Sicherheit“ im Rahmen des Weißbuchprozesses diskutiert. Auch an den Beispielen Afghanistan und Mali wurde der umfassende zivil–militärische Ansatz erörtert.
Nexus - das war das Schlüsselwort des Expertenworkshops zu den Perspektiven der Entwicklung und Sicherheit im Rahmen der Erstellung des Weißbuches 2016. Der Begriff referiert auf den „Security Development Nexus“, der unter anderem 2003 in der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESSEuropäische Sicherheitsstrategie) aufgegriffen wurde und inzwischen in Brüssel – so einer der Workshop-Teilnehmer – „quasi religiös“ verehrt wird. Er beschreibt die Notwendigkeit der engen Verzahnung zwischen Entwicklungszusammenarbeit und Sicherheitspolitik, insbesondere in fragilen und vom Zerfall bedrohten Staaten und Regionen.
Die Implikationen des Begriffs seien, so ein Workshop-Teilnehmer, allerdings keine „Erfindung der Neuzeit“. Schon nach dem Zweiten Weltkrieg hatte man Lehren aus der Vergangenheit identifiziert und die Alliierten halfen beim Wiederaufbau Deutschlands mit. Die Luftbrücke nach Berlin mit ihren „Rosinenbombern“ sei der Ursprung für das, was man heute beim internationalen Krisen- und Konfliktmanagement immer noch anstrebt: Konflikte beenden aber auch Perspektiven für eine positive Zukunft. Das erfordert mitunter die reibungslose Zusammenarbeit von Streitkräften und zivilen Organisationen. Im Englischen spricht man sinnbildlich auch von der engen Kooperation zwischen „Boots & Sandals“, die ein Teilnehmer um das diplomatische Element – die „Suits“ – ergänzte.
Mentalitätsunterschiede zwischen zivilen Helfern und Soldaten sind allerdings nach wie vor vorhanden und Herausforderungen bei der Zusammenarbeit liegen oftmals im Detail. So zeigte einer der Workshop-Teilnehmer auf, dass es das Kernmotiv von NROs sei, sich unabhängig, überparteilich und neutral zu positionieren und verhalten. Dementsprechend handele eine Nichtregierungsorganisation nicht im Namen einer Regierung sondern sei alleine ihrem eigenen Leitbild verpflichtet. Auch blieben Nichtregierungsorganisationen oftmals weiterhin vor Ort, wenn militärische Mandate bereits ausgelaufen und Streitkräfte abgezogen sind.
Dass diese Herangehensweise zu Friktionen führen kann, insbesondere wenn Soldaten für die Sicherheit von NRONichtregierungsorganisation-Vertretern ihr Leben riskieren, war ebenfalls Thema des Austauschs.
Das Thema Entwicklung und Sicherheit war Thema der Diskussionen auf dem Workshop.
Ein Element der Debatte war der internationale Einsatz in Afghanistan. Ist er Musterbeispiel für die erfolgreiche Kooperation zwischen „Sandals & Boots“? Die Meinungen gingen auseinander. Klar war jedoch: Einige Lektionen wurden gelernt. So kommentierte einer der Workshop-Teilnehmer, die internationale Staatengemeinschaft habe sich in Afghanistan zu sehr von einfachen Dichotomien leiten lassen und jeglichen Dialog mit den Taliban von Beginn an ausgeschlossen. Die komplizierten gesellschaftlichen Verflechtungen in Afghanistan hätten wir nicht verstanden und daher teilweise mit den falschen Akteuren kooperiert. Dies habe die Glaubwürdigkeit der ISAFInternational Security Assistance Force unterminiert.
Andere verwiesen jedoch auf die Erfolge des Afghanistan-Einsatzes. Heute gibt es in Afghanistan acht Millionen Schülerinnen und Schüler, zu Zeiten der Taliban waren es nur eine Million. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich während der Zeit des Einsatzes der internationalen Schutztruppe versechsfacht, ein Zeichen für wirtschaftliche Stabilität und Prosperität. Dies sind Hinweise darauf, dass sich auch der militärische Anteil des internationalen Engagements in Afghanistan in konkreten Erfolgen niederschlägt.
Ein umfassendes und Ressortgrenzen-übergreifendes Engagement im Einsatzland zieht automatisch die Frage nach sich, aus welchem Topf eigentlich gezahlt wird. Eine sehr pragmatische Frage, aber nicht ohne tieferlegende Problematik. So wurde während des Workshops unter anderem über die Erfolge von „pooled funds“ – also gemeinsamen Töpfen – sowie über die finanzielle Anrechenbarkeit sicherheitspolitischer Maßnahmen im Einsatzland zur „Official Development Assistance (ODAOfficial Development Assistance)“ diskutiert.
Des Weiteren wurde auf die finanziellen Herausforderungen eines glaubwürdigen militärischen Engagements eingegangen. So würde in Europa schnell gesagt, man müsse militärisch tätig werden – gemeint seien damit aber meist die USA. In Europa bräuchte man dringend belastbarere militärische Fähigkeiten.
Entwicklungsminister Müller sieht eine große Gefahr in schwachen und gescheiterten Staaten.
Die integrative Zusammenarbeit ist nach wie vor der Schlüssel zum Erfolg. Das betonten auch die Bundesminister Ursula von der Leyen und Gerd Müller. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung legte dar, dass im Gegensatz zu früheren Zeiten heute die größte Gefahr „von schwachen und gescheiterten Staaten“, den sogenannten „fragile states“, ausgeht. Wie langfristig und vernetzt sich die Dinge entwickeln, machte er deutlich, indem er den Bogen vom Irak-Konflikt zur heutigen Situation in Syrien und der damit verbundenen Flüchtlingsproblematik spannte.
Ursula von der Leyen gab ebenso ein ganz konkretes Beispiel. Sie berichtete, wie die Vertreter der drei großen religiösen Gruppen der Zentralafrikanischen Republik um einen militärischen Einsatz in deren Land gebeten hätten, um das gegenseitige Abschlachten dort zu beenden und auf dieser Basis endlich mit der Versöhnungsarbeit beginnen zu können. Die Bundesministerin der Verteidigung ergänzte: „Eine Welt - unsere Verantwortung“, der Untertitel der Zukunftscharta des BMZBundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wäre auch für das Weißbuch 2016 ein passender Untertitel, „wenn es denn einen hätte“.
Sie bekam dabei internationale Unterstützung von Jon Lomøy, dem Direktor des OECDOrganisation for Economic Co-operation and Development-Entwicklungsdirektorats. Er betonte, dass wir uns international darauf geeinigt hätten, die Armut bis 2030 zu bekämpfen. Das würde uns aber nicht gelingen, ohne mit gewalttätigen Konflikten fertig zu werden. Schließlich lebe die Mehrheit der armen Menschen in Konfliktregionen. Somit brauche es einen holistischen Ansatz mit militärischen, diplomatischen und Entwicklungskomponenten.