Die internationale Handlungsfähigkeit der Europäischen Union (EU) im Bereich des Krisenmanagements beruht auf der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik). Diese ist Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASPGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik) und ermöglicht es der EU, ein breites Aufgabenspektrum in der Krisenprävention und Konfliktbewältigung sowie der Stabilisierung nach einem Konflikt wahrzunehmen. Ein Überblick über die Meilensteine europäischer Verteidigungspolitik.
Bis in die 1980er Jahre hinein scheiterten mehrere Versuche, gemeinsame verteidigungspolitische Strukturen in Europa aufzubauen. Erste sicherheitspolitische Ambitionen der EU wurden in den sogenannten „Petersberger Aufgaben“ von 1992 festgehalten. Darin sind Missionen zur Friedenssicherung, Rettung und Stabilisierung sowie zur humanitären Hilfe zu finden, die auch heute noch als Orientierung und Planungsgrundlage bei EU-Missionen dienen. Im gleichen Jahr wurde mit dem Vertrag von Maastricht die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASPGemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik) ins Leben gerufen, die ein erstes koordiniertes außenpolitisches Handeln der EU-Mitgliedsstaaten ermöglichte.
Besonders in der Zeit von Oktober 1998 bis Juni 1999 wurde die GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik geschaffen. Während eines Treffens des Europäischen Rats in Österreich im Oktober 1998 zeigte sich der britische Premierminister Tony Blair erstmals offen in Fragen der europäischen Sicherheitspolitik. In der darauffolgenden Woche trafen sich die Verteidigungsminister erneut in Wien und unterstrichen die Notwendigkeit einer außenpolitisch handlungsfähigen EU. Ein weiterer ausschlaggebender Katalysator war die britisch-französische Initiative von St. Malo im Dezember 1998.
Diese Impulse beeinflussten die Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten über die Entstehung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und im Kontext des Krieges im Kosovo wurden beim Treffen der Staats- und Regierungschefs im Juni 1999 in Köln konkrete Aspekte der „Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (ESVPEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ) vereinbart und im Vertrag von Amsterdam festgeschrieben.
Deutscher Soldat der EUFOR RDRepublic Democratic im Kongo in einem Gespräch mit spanischen Soldaten.
Die ESVPEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist seit 1999 ein eigenständiges Politik- und Handlungsfeld, das im intergouvernementalen Anteil der EU angesiedelt ist. Nach den Regeln des Vertrages über die Europäische Union (Art. 42 bis 46) wird sie als Bestandteil der Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik durch die einzelnen EU-Mitgliedstaaten gestaltet. Dabei stehen der EU verschiedene zivile, polizeiliche und militärische Instrumente zur Verfügung, die in Operationen und Missionen in Ländern außerhalb der EU eingesetzt werden können. Langfristiges Ziel der europäischen Verteidigung ist - wie in Artikel 42.2 EUVVertrag über die Europäische Union festgehalten - die Entwicklung einer gemeinsamen Verteidigung der EU.
Im Jahr 2003 - mit der ersten militärischen Mission „EUFOR Concordia“ in Mazedonien - wurde die ESVPEuropäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu einem einsatzfähigen Instrument der EU-Mitgliedstaaten. Seitdem hat die EU bereits mehr als 30 zivile und militärische Missionen durchgeführt. Ein weiterer Meilenstein dafür war die 2003 verabschiedete europäische Sicherheitsstrategie des damaligen Generalsekretärs des Rates der EU und Hohen Vertreters, Javier Solana. Im begleitenden Dokument „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ wird das sicherheitspolitische Umfeld Europas zum ersten Mal aufgezeigt. Außerdem werden darin zentrale und zukünftige Herausforderungen für die Mitgliedstaaten und die EU genannt.
Es war vor allem der Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2009, der die Entwicklung der neu benannten Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik) deutlich voranbrachte. Darin wurde die Gründung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) unter der Führung des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik beschlossen, der die EU in auswärtigen Angelegenheiten berät und international repräsentiert. Zusätzlich enthält der Vertrag von Lissabon in Artikel 42.7 eine Beistandsklausel – ähnlich dem Artikel 5 des Nordatlantikvertrages von 1949, dem Gründungsdokument der NATO (North Atlantic Treaty Organization). Ihren Ursprung hat die Beistandsklausel bereits in den Pariser Verträgen der Westeuropäischen Union (WEUWesteuropäische Union) von Oktober 1954. Der damals gegründete kollektive militärische Beistandspakt ist 2010 in der GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik aufgegangen. Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf einen EU-Mitgliedstaat sieht der Artikel vor, dass alle anderen EU-Mitgliedstaaten ihm „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung (…) schulden“. Die Beistandsklausel versteht sich im Einklang mit NATO-Verpflichtungen. Sie wurde im November 2015 zu ersten Mal vom damaligen französischen Präsidenten François Hollande nach den Terroranschlägen in Paris aktiviert.
Besonders in den vergangenen drei Jahren wurde die GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch neue Initiativen und Reformvorschläge weiterentwickelt. Vor dem Hintergrund des veränderten sicherheitspolitischen Umfeldes haben die EU-Mitgliedstaaten mit großer Mehrheit entschlossen, die Handlungsfähigkeit der EU und damit den europäischen Pfeiler in der NATO umfassend zu stärken und weiterzuentwickeln. Im Vertrag von Lissabon wurde außerdem die Möglichkeit der Gründung einer „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (SSZStändige Strukturierte Zusammenarbeit, englisch: Permanent Structured Cooperation) in Artikel 42.6 und Artikel 46 festgehalten. Diese wurde im Dezember 2017 durch 25 EU-Mitgliedstaaten beschlossen und damit ein neuer Meilenstein in der Entwicklung der GSVPGemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik erreicht. PESCOPermanent Structured Cooperation steht nicht für sich allein, sondern wird von einer Reihe an Verteidigungsinitiativen flankiert, die ab 2016 im Kontext der EU-Globalstrategie der Hohen Vertreterin Federica Mogherini und eines neuen sicherheitspolitischen Willens der Mitgliedstaaten entwickelt wurden. Gemeinsam mit dem Jahresbericht zur Verteidigung (englisch: Coordinated Annual Review on Defense, CARDCoordinated Annual Review on Defence) und dem Europäischen Verteidigungsfonds (EVFEuropäische Verteidigungsfonds, englisch: European Defense Fund) bildet PESCOPermanent Structured Cooperation den Kern der vertieften Kooperation. Dieser umfassende Ansatz zur Stärkung und Weiterentwicklung der Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und Verteidigung der EU deckt das gesamte Spektrum von der gemeinsamen Planung über die Finanzierung und Umsetzung von Projekten bis hin zu Einsatz ab.