Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen fühlen sich durch Russland bedroht. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen versprach ihnen jetzt deutschen Beistand.
Deutschland will Litauen zwölf Panzerhaubitzen 2000 aus den Beständen der Bundeswehr liefern. Das teilte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen am 15. April bei ihrem Besuch der litauischen Hauptstadt Vilnius mit. Der baltische Staat soll außer den Geschützen zudem Feuerleitsysteme und Mittel zur Artilleriebeobachtung erhalten. Darüber hinaus haben die litauischen Streitkräfte Interesse am Gepanzerten Transportfahrzeug Boxer signalisiert. Von der Leyen versprach Unterstützung: „Wir werden uns dafür einsetzen, dass Litauen einen Slot in der OCCAROrganisation Conjointe de Coopération en Matière d’Armement erhält.“ In der Organisation Conjointe de Coopération en Matière d’Armament (Gemeinsame Organisation für Rüstungsoperation) haben sich die Nutzerstaaten des Boxer zusammengeschlossen. Von der Leyens Amtskollege, Verteidigungsminister Jouzas Olekas, bekräftigte, dass sein Land den Verteidigungsetat bis 2020 auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern wolle.
Die baltischen Staaten und Polen fühlen sich spätestens seit der Russland-Ukraine-Krise von Moskau bedroht. Vor allem Estland, Lettland und Litauen mit ihren russisch-sprachigen Minderheiten fürchten, dass ihr übermächtiger Nachbar im Osten versuchen könnte, ihre Länder mit Mitteln der hybriden Kriegführung zu destabilisieren. Die Allianz hatte deshalb bereits auf ihrem Gipfel in Wales im September vergangenen Jahres beschlossen, die Staaten Osteuropas und das Baltikum mit dem sogenannten Readiness Action Plan zu stärken.
Dazu gehört unter anderem die Aufstockung der Kampfflugzeuge zur Luftraumüberwachung über den baltischen Staaten von vier auf 16 Jets, eine Ausweitung von Militärmanövern der NATO in Osteuropa, die Einrichtung von sechs ständigen logistischen Stützpunkten, sogenannten NATO Force Integration Units, die Verstärkung des Stabes des deutsch-dänisch-polnischen Multinationalen Korps in Stettin in Polen und vor allem der Aufbau einer schnellen Speerspitze der NATO Response Force, die sogenannte Very High Readiness Joint Task Force. Diese rund 5.000 Mann starke Eingreiftruppe soll im Krisenfall innerhalb von 48 bis 72 Stunden mit ersten Vorauskräften in einem möglichen Krisengebiet einsatzbereit sein.
Zum Abschluss ihrer Reise traf Ministerin von der Leyen die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite.
Zu den Manövern, mit denen Deutschland und die NATO in Osteuropa Flagge zeigen wollen, gehört auch das Vorhaben „Persistent Presence“. Insgesamt drei Monate wird eine Kompanie des Jägerbataillons 292 mit den litauischen Streitkräften trainieren. Höhepunkt des Aufenthalts in Litauen ist die zweiwöchige Übung „Iron Wolf“ im Juni. Dann werden die 250 Infanteristen aus Donaueschingen von weiteren 150 Fallschirmjägern des Fallschirmjägerregiments 31 verstärkt. Der „Eiserne Wolf“ wiederum ist Teil des groß angelegten NATO-Manövers „Sabre Strike 2015“, mit dem die Allianz die Verteidigung Ost-Europas gegen einen möglichen Angriff übt.
Bereits am Vortag hatte von der Leyen die Unterstützung Deutschlands für die baltischen Staaten bekräftigt: „Wir nehmen die Sorgen und die Bedrohungswahrnehmungen Estlands sehr ernst. Ihre Sorgen sind auch unsere Sorgen.“ Mit diesen Worten sicherte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Estland bei einem Besuch der Hauptstadt Tallinn die Unterstützung der Allianz zu: „An der Solidarität des nordatlantischen Bündnisses gibt es keinerlei Zweifel.“ Der Artikel fünf des Nordatlantikvertrages gelte „unverbrüchlich“.
Ursula von der Leyen und die Ministerpräsidentin von Lettland, Laimdota Straujuma.
In der lettischen Hauptstadt Riga traf sich von der Leyen mit ihrem Amtskollegen Raimonds Vejonis und der Ministerpräsidentin von Lettland, Laimdota Straujuma. Zuvor hatte sich die deutsche Verteidigungsministerin über die Arbeit des NATO Strategic Communication Centre of Excellence informiert. Die 2014 gegründete Denkfabrik, an der sich Deutschland künftig mit zwei Vertretern beteiligen wird, analysiert zum Beispiel die Kommunikation der NATO anhand der Beispiele Raketenabwehr und ISAFInternational Security Assistance Force-Einsatz. Ein weiterer Untersuchungsgegenstand ist die Anwendung von Propaganda, zum Beispiel durch den Islamischen Staat, aber auch durch Russland. In diesem Zusammenhang lehnte die deutsche Verteidigungsministerin Gegenpropaganda als Reaktion auf Informationsoperationen kategorisch ab. Propaganda müsse man vielmehr mit sachlicher Information und Aufklärung kontern.
Ursula von der Leyen wird vom Ministerpräsident der Republik Estland, Taavi Rõivas, begrüßt.
Begonnen hatte Ursula von der Leyen ihre Reise durchs Baltikum am Morgen in Tallinn, der Hauptstadt von Estland. Hier führte die Verteidigungsministerin Gespräche mit Ministerpräsident Taavi Rõivas, Staatspräsident Toomas Hendrik Ilves und Verteidigungsminister Sven Mikser. Ein wichtiger Programmpunkt des Auftaktes in Estland war ein Besuch des Centers for Cyber Defence Center of Excellence der NATO. Die etwa 50 militärischen und zivilen Experten des Thinktanks beschäftigen sich mit technischen, strategischen und völkerrechtlichen Fragen der Cyber-Kriegführung und beraten die NATO und ihre Mitgliedstaaten. Gegründet wurde das Center 2008.
Ein Jahr zuvor war Estland Opfer eines groß angelegten Cyberangriffs auf die digitale Infrastruktur geworden, der das öffentliche Leben über Tage lahmlegte. Bis heute ist nicht geklärt, wer hinter dieser sogenannten Distributed Denial of Service-Attacke steckte. Cyber Defence, also die Abwehr von Cyberangriffen, und Cyberkriegführung werden immer wichtiger. So hat sich die Allianz auf dem Gipfel von Newport darauf verständigt, dass im Fall eines Cyberangriffs auf eines der Mitglieder der NATO-Rat darüber befindet, ob ein Angriff nach Artikel V des NATO-Vertrages vorliegt – und damit der Bündnisfall.