Teile des KSKKommando Spezialkräfte haben sich verselbstständigt, sagt die Verteidigungsministerin, Soldaten hätten die Aufklärung bestürzender Vorfälle verweigert. Doch das ändere sich nun. Kramp-Karrenbauer will die Spezialkräfte aus ihrer Abschottung holen und nach verschwundenem Sprengstoff fahnden.
VON JOACHIM KÄPPNER UNUnited NationsD MIKE SZYMANSKI
Man betritt das weitläufige Gelände am Bendlerblock mit Maske, passiert die Eingangskontrollen und fühlt sich in den Fluren ungewohnt verloren. Viele Mitarbeiter sind auch hier im Homeoffice. Das Interview mit der Ministerin findet in einem alten Konferenzzimmer statt, die vier Personen sitzen weit auseinander. Annegret Kramp-Karrenbauer ist eben erst aus Calw zurückgekommen, vom Truppenbesuch beim KSKKommando Spezialkräfte.
SZ: Sie waren am Montag beim Kommando Spezialkräfte in Calw. Wie haben Sie den Besuch erlebt?
Annegret Kramp-Karrenbauer: Ich habe eine Truppe erlebt, die erschüttert ist von den Vorkommnissen. Eine Truppe, die sich selbstkritisch hinterfragt. Man spürt, dass es rund um den Kommandeur Markus Kreitmayr Menschen gibt, die das KSKKommando Spezialkräfte verändern wollen. Die Mauer des Schweigens bricht. Das ist ein ermutigendes Zeichen. Ich habe den Soldaten in Calw gesagt, dass jeder jetzt die Chance hat, für sich selbst zu entscheiden: Will ich Teil des Problems bleiben oder ein Teil der Lösung werden?
Sie haben angekündigt, mit „eisernem Besen„ aufzuräumen. Was wollen Sie nun tun? Den Verband neu aufstellen?
Das KSKKommando Spezialkräfte hat sich in Teilen verselbstständigt, auch weil es eine toxische Führungskultur Einzelner gab. Daraus folgt, dass das KSKKommando Spezialkräfte nicht in seiner jetzigen Verfassung bestehen bleiben kann. Viele der bestürzenden Ereignisse, darunter die berüchtigte „Feier“ im April 2017, sind von der 2. Kompanie der insgesamt vier Kommandokompanien ausgegangen. Deswegen wird die 2. Kompanie zum 01. August ersatzlos aufgelöst.
Das unbelastete Personal wird so weit möglich die verbleibenden Kompanien aufstocken. Andere werden aus dem KSKKommando Spezialkräfte herausversetzt. Das ist nur ein Teil unserer Maßnahmen.
Wie sehen die anderen aus?
Der Bereich Ausbildung des KSKKommando Spezialkräfte wird ins Heer eingegliedert, um mehr Bezug zur gesamten Bundeswehr herzustellen. Die Ausbildung wird also truppendienstlich der Infanterieschule des Heeres unterstellt und damit fachlich dem Ausbildungskommando im Heer. Die Ausbildung wird auch außerhalb von Calw erfolgen, und es wird viel mehr Austausch unter anderem mit anderen Spezialkräften geben. Das Zeichen ist klar: Wir brechen das System der in sich geschlossenen Ausbildung beim KSKKommando Spezialkräfte auf.
Ein Problem war ja, dass das KSKKommando Spezialkräfte völlig abgeschottet ist.
Wir haben dort Soldaten, die seit 20 Jahren in der gleichen Kompanie sind. Es wird nun innerhalb des Verbandes ein Rotationsprinzip eingeführt. Wer künftig Führungspositionen im Kommando Spezialkräfte anstrebt, muss verpflichtend auch außerhalb des KSKKommando Spezialkräfte in der Bundeswehr Dienst tun, besonders im Hinblick auf Aufgaben der Ausbildung und der Führung.
Wir werden eine Höchstverwendungsdauer beim KSKKommando Spezialkräfte für Kommandofeldwebel und Offiziere für besondere Führungsfunktionen einführen und für diejenigen, die Querschnittsaufgaben wahrnehmen.
Hat der Kommandeur noch Ihr Vertrauen?
Der noch recht neue Kommandeur Markus Kreitmayr hat mein Vertrauen, diesen Prozess zu führen. Er hat den Wandel mit angestoßen. Mein Eindruck ist, dass er auch die volle Unterstützung der selbstkritischen Kräfte im KSKKommando Spezialkräfte hat. Wir setzen jetzt ein klares Zeichen des Neuanfangs, wir drücken den Reset-Knopf. Deswegen wird das KSKKommando Spezialkräfte bis auf Weiteres keine Übungen und internationalen Einsätze und Kooperationen mehr wahrnehmen. Wo es möglich ist, werden andere Kräfte der Bundeswehr die Einsatzaufgaben übernehmen. Das KSKKommando Spezialkräfte kann sich damit auf die nötigen positiven Veränderungen im Innern konzentrieren.
Das heißt, Sie legen das KSKKommando Spezialkräfte erst einmal lahm?
Die Soldaten des KSKKommando Spezialkräfte müssen die Möglichkeit haben, die Chance, die wir ihnen einräumen, wirklich zu nutzen. Ob die Selbstheilung gelingt, hängt von ihnen selbst ab. Das ist ein Vertrauensvorschuss für alle dort, die gegen die Missstände eintreten.
Wie lange wird das KSKKommando Spezialkräfte im wahrsten Sinne des Wortes außer Gefecht sein?
Wir nehmen uns erst mal Zeit bis zum 31. Oktober. Dann schauen wir, wo wir stehen.
Wenn Ihnen das Ergebnis nicht genügt, lösen Sie den Verband dann auf?
Es gab sehr gute Gründe, das KSKKommando Spezialkräfte 1996 aufzustellen. Spezialkräfte werden wir immer brauchen. Der ganz überwiegende Teil der Bundeswehr und der Angehörigen des KSKKommando Spezialkräfte steht fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Das KSKKommando Spezialkräfte zeigte in allen Einsätzen seit 1996 Spitzenleistungen. Viele Menschen haben ihr Leben dem KSKKommando Spezialkräfte zu verdanken. Ich rede deshalb von einer Bewährungschance. Wenn aber die Angehörigen des KSKKommando Spezialkräfte diesen Schuss jetzt nicht gehört haben, wird sich unausweichlich die Frage nach einer Neuordnung des KSKKommando Spezialkräfte stellen.
Die jüngsten Probleme haben ihren Ursprung in einer Abschiedsfeier des Chefs der 2. Kompanie 2017. Da soll Rechtsrock gehört worden und der Hitlergruß gezeigt worden sein. Teilgenommen hatten etwa 70 KSKKommando Spezialkräfte-Leute. Was ist mit denen? Können diese Soldatinnen und Soldaten weiter dem KSKKommando Spezialkräfte angehören?
Diese Vorfälle werden noch einmal untersucht. Bisher waren wir auf eine Mauer des Schweigens gestoßen, bei manchen aus Zustimmung, bei anderen aus Angst. Diese Mauer des Schweigens hat Risse bekommen, und jeder muss verstehen, dass das jetzt die Chance ist, sein Verhalten zu überdenken. Was Selbstkritik angeht, gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Kompanien. In der 2. Kompanie, die jetzt aufgelöst wird, ist es nie gelungen, Verantwortliche zu benennen und aufzuklären. Diese Leute hatten ihre Chance.
Bei einem Teilnehmer der Abschiedsfeier, einem 45-jährigen KSKKommando Spezialkräfte-Mann, wurden im Mai Waffen und Sprengstoffgefunden, offenbar teils aus Verbandsbeständen. In welchem Ausmaß sind dem KSKKommando Spezialkräfte Waffen und Munition abhandengekommen?
Unsere Erkenntnisse sind sehr beunruhigend. Wir haben unangekündigte Inspektionen beim KSKKommando Spezialkräfte durchgeführt und festgestellt, dass es enorme Abweichungen zum Soll gibt. Es gibt einerseits 37.000 Schuss Munition zu viel an der einen Stelle, gleichzeitig fehlen 48.000 Schuss Munition an der anderen Stelle, und der Verbleib von 62 Kilogramm Sprengstoff konnte bisher nicht geklärt werden.
62 Kilo scharfer Sprengstoff?
Das ist eine alarmierende Zahl, berechnet über die letzten Jahre hinweg aus allen möglichen Übungen, Missionen und Einsätzen. Bei Übungen einer Spezialeinheit wird nicht jede Patrone einzeln gezählt, aber dieses Ausmaß ist nicht hinnehmbar.
Es gibt klare Regeln für den Umgang mit Munition in der Bundeswehr. Das KSKKommando Spezialkräfte ist Teil dieser Bundeswehr. Deswegen haben Generalinspekteur Eberhard Zorn und ich den Auftrag erteilt, eine Generalinventur über alle Ausrüstungsgegenstände vorzunehmen. Das wird voraussichtlich bis Anfang 2021 dauern. Aus unserer Sicht hat sich beim KSKKommando Spezialkräfte eine inakzeptable Disziplinlosigkeit im Umgang mit Munition verfestigt. Das wird sich jetzt ändern.
Haben Sie Hinweise auf rechtsextremistische Netzwerke im KSKKommando Spezialkräfte, welche die Waffen beiseitegeschafft haben könnten?
Die Ermittlungen dazu laufen.
Wie stellen Sie sich die Leute vor, die beim KSKKommando Spezialkräfte dienen sollen?
Wer beim KSKKommando Spezialkräfte dient, verfügt über besondere Fähigkeiten, um hoch spezialisierte Operationen durchzuführen, und muss noch viel mehr als jeder andere Soldat in der Bundeswehr ohne Zweifel für unser Grundgesetz, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, eintreten. Kompromisse sind hier nicht möglich.
War die Truppe in den vergangenen Jahren noch wirklich gefordert? Oder erklärt sich manches aus Leerlauf und Langeweile? Die großen Missionen, Kriegsverbrecher in Bosnien oder Talibanführer in Afghanistan zu stellen, liegen schon länger zurück. Die Regierung ist mit dem Einsatz von Spezialkräften sehr zurückhaltend.
Die Soldaten haben mir gesagt, sie fühlen sich stark gefordert. Es gibt weiterhin Einsätze, aber auch viele Übungen. Der permanente Druck, nicht am normalen Leben teilnehmen zu können, erscheint mir hoch.
Ich habe in Calw deutlich gemacht: Die Politik, das Parlament entscheidet, wie das KSKKommando Spezialkräfte eingesetzt wird. Das gilt im Übrigen für die gesamte Bundeswehr. Das müssen also auch die Spezialkräfte aushalten.
Wer zum KSKKommando Spezialkräfte will, muss durch die „Höllenwoche„, ein Auswahlverfahren, das die Teilnehmer an ihre körperliche Belastungsgrenze führt, und um die ein Härtekult gemacht wird. Soll die bleiben?
Auch darüber wird gesprochen. Jüngere Führungskräfte haben durchaus andere Vorstellungen. Die sagen, körperliche Fitness ist natürlich sehr wichtig, aber es müsste auch noch mehr um Wissen und um den Charakter gehen. In der Ausbildung der US-Marines etwa gibt es verpflichtende Literaturlisten für Führungskräfte, auf denen zum Beispiel Klassiker der Literatur stehen. Das hat damit zu tun, dass die sagen: Wir brauchen eine Ausbildung, die ganzheitlich ist. Oder nehmen Sie Norwegen: Dort finden auch Frauen den Weg in die Spezialkräfte.
Beim KSKKommando Spezialkräfte haben Frauen es bisher nie in die kämpfenden Kommandotrupps geschafft. War es insgeheim so gewollt?
Ich würde es so formulieren: Die Vorstellung, dass Frauen es in die Trupps schaffen können, war im KSKKommando Spezialkräfte nicht weit verbreitet. Ich bin der festen Überzeugung, dass Frauen auch in Spezialkräften sein können. Wenn das in anderen Armeen möglich ist, sehen ich keinen Grund, warum das bei der Bundeswehr anders sein soll.
Sehen Sie rechtsextremistische Kreise, Netzwerke, die von außen auf die Bundeswehr und speziell das KSKKommando Spezialkräfte einwirken?
Das müssen wir mit unseren Nachrichtendiensten weiter ermitteln. Was wir jetzt schon erkennen, auch nach den ersten Debatten im Parlament: Es gibt politische Kräfte, die versuchen jetzt aus dieser Situation Profit zu schlagen. […] Klar ist: Jeder Soldat ist ein Staatsbürger in Uniform. Er kann, solange er sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt, seine Ansichten äußern. Die Situation verändert sich dann, wenn eine Partei oder eine Bewegung vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Das KSKKommando Spezialkräfte wirkte auch deshalb so abgekoppelt, weil es absoluter Geheimhaltung unterliegt. Die Soldaten dürfen nicht über ihre Arbeit sprechen. Soll es dabei bleiben?
Wir müssen den Eindruck, das KSKKommando Spezialkräfte stehe außerhalb, korrigieren. Die KSKKommando Spezialkräfte-Soldaten fragen sich, welche Anerkennung sie für ihre Arbeit erfahren. Dazu müssen sie aber auch darüber reden können. Ich unterstütze das, und es muss nicht gleich geheime Informationen aus konkreten Missionen betreffen.
Haben Sie bei Ihrem Besuch auch etwas wie Feindseligkeit gespürt?
Nein, einige hatten vielleicht das Gefühl, es würde eine Strafe ausgesprochen. Das ist nicht die Absicht. Es gibt die Chance, das KSKKommando Spezialkräfte besser zu machen.
Das Interview der Süddeutschen Zeitung wird in leicht gekürzter Fassung veröffentlicht.