Rede der Bundesministerin der Verteidigung, Dr. Ursula von der Leyen, beim Großen Zapfenstreich zur Verabschiedung des 15. Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Volker Wieker, am 18. April 2018 im Gästecasino des BMVgBundesministerium der Verteidigung, Berlin.
Exzellenz Schiech Al-Thani,
meine Herren Vorsitzende des Verteidigungs- und des Auswärtigen Ausschusses Hellmich und Röttgen,
meine verehrten Herren Bundesminister a.D.außer Dienst Jung, de Maizière und Schmidt,
meine Damen und Herren Staatssekretäre,
liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
Herr Wehrbeauftragter Dr. Bartels,
sehr geehrter Herr Militärbischof Dr. Rink,
meine Damen und Herren Präsidentinnen und Präsidenten,
meine Damen und Herren Generale und Admirale,
aber vor allem Sie, lieber Herr General Wieker,
liebe Frau Wieker, meine Damen und Herren!
Lieber Herr General Wieker, Sie sind seit dem 21. Januar 2010 der
15. Generalinspekteur der Bundeswehr. Seit über acht Jahren, so lange wie kein Generalinspekteur vor Ihnen. Acht Jahre der wichtigste militärische Berater der Bundesregierung, Vorgesetzter von rund 180.000 Soldatinnen und Soldaten, unser ranghöchster Repräsentant in Uniform in Deutschland und bei unseren Partnern. In all‘ diesen Funktionen haben Sie einen herausragenden Dienst geleistet: für die Bundeswehr, für die Bundesregierung und für unser Land.
Als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt, aber auch ganz persönlich fällt es mir ausgesprochen schwer, Sie heute nach zweimaliger „Verlängerung“ tatsächlich in den Ruhestand zu verabschieden. Zugleich bin ich aber auch außerordentlich dankbar für die Spuren, die Sie hinterlassen; diese bleiben.
Als oberster Militär haben Sie unsere Bundeswehr in den vergangenen Jahren begleitet und geleitet: mit einem schier unendlichen Wissens- und Erfahrungsschatz, einem beeindruckenden Verantwortungsgefühl und einem exzellenten strategischen Gespür. Sie haben erlebt, was es bedeutete, als die Bundeswehr erstmals mit Kampf und Gefecht, mit Verwundung und Tod konfrontiert wurde. Sie haben die Streitkräfte durch so manche organisatorische Veränderung geführt, deren Rahmenbedingungen nur begrenzten Gestaltungsspielraum ließen.
Sie haben nach der sicherheitspolitischen Zeitenwende von 2014 dafür gesorgt, dass Deutschland verlässlich und glaubwürdig seiner Verantwortung in der Welt gerecht werden kann. Sie haben die Weichen dafür gestellt, dass wir unseren Fokus wieder stärker auf die Landes- und Bündnisverteidigung richten; dass wir aber gleichzeitig unseren internationalen Verpflichtungen im Krisen- und Konfliktmanagement weiter nachkommen können.
Gemeinsam haben wir in den vergangenen viereinhalb Jahren einen umfassenden Modernisierungsprozess der Bundeswehr in Gang gebracht: konzeptionell mit dem Weißbuch 2016 oder, ganz aktuell, mit dem neuen Traditionserlass; strategisch mit der Aufstellung des neuen Cyber-Kommandos; aber auch ganz konkret mit unseren Trendwenden Personal, Material und Finanzen. Die Bundeswehr wächst wieder.
All‘ diese Errungenschaften tragen ganz deutlich Ihre Handschrift und zeigen Ihr Herzblut, lieber Herr General Wieker. Sie haben im Laufe Ihrer über 40-jährigen Dienstzeit auf allen militärischen Führungsebenen Verantwortung getragen: ob als Batteriechef in Wildeshausen, als Bataillonskommandeur in Augustdorf, als Brigadekommandeur in Schwerin, als Kommandierender General des I. Deutsch-Niederländischen Korps in Münster oder in mehreren herausgehobenen Stabsverwendungen.
Wie ein roter Faden ziehen sich durch Ihren Lebenslauf die Themen Planung und Weiterentwicklung, die Führung militärischer Operationen sowie Ausbildung und Übung. Gerade dieses Thema liegt Ihnen besonders am Herzen: Es sind die jungen Soldatinnen und Soldaten, ihre militärische Professionalität, aber auch dass sie ihre Heimat finden in der Truppe. Das ist Ihre Leidenschaft. Denn Sie wissen aus eigener Anschauung, wie wichtig Ausbildung und Übung für Ihre Soldatinnen und Soldaten sind, damit sie am scharfen Ende des Berufes bestehen können.
Und es gab noch ein zweites Thema, das sie nicht losgelassen hat. Sie haben die Truppe konsequent auf den Einsatz ausgerichtet. Dabei haben Sie hohes strategisches Geschick bewiesen. Sie waren es, der 2010 den entscheidenden Impuls für einen Strategiewechsel in Afghanistan gab. Nicht mehr nur Kampf gegen die Taliban, sondern der Schutz der afghanischen Bevölkerung war für Sie oberstes Gebot.
Und immer wieder zeigen Sie Ihre menschliche Größe – etwa wenn es darum geht,
für die Hinterbliebenen unserer Gefallenen da zu sein. Nie werde ich die Worte vergessen, die Sie fanden für die Familien unserer beiden Hubschrauberpiloten, die im Einsatz in Mali ihr Leben gelassen haben. Das ist auch Ausdruck Ihrer persönlichen Erfahrungen.
Sie sind der erste Generalinspekteur der Bundeswehr, der Einsatz am eigenen Leib erlebt hat. 1996 waren Sie in Bosnien Stabsoffizier für Einsatz und Ausbildung und Leiter der Operationszentrale des Heereskontingents IFOR. 2001 kommandierten Sie das 3. deutsche KFORKosovo Force-Kontingent; zugleich waren Sie Kommandeur der Multinationalen Brigade Süd im Kosovo. Und als Kommandierender General des Deutsch-Niederländischen Korps in Münster wurden Sie 2009 Chef des Stabes im ISAFInternational Security Assistance Force-Hauptquartier in Kabul.
Von Afghanistan aus wurden Sie noch im gleichen Jahr – früher als geplant – nach Berlin abkommandiert. Die Leitung des Hauses brauchte Sie. Zwei Minister haben Sie hier begleitet – und eine Ministerin. Das war für Sie freilich keine Terra incognita: Immerhin haben Sie Ende der 90er-Jahre schon als Adjutant von Volker Rühe und Rudolf Scharping gedient.
Lieber Herr Wieker, für mich waren Sie in den vergangenen über viereinhalb Jahren ein unverzichtbarer Begleiter und Unterstützer, mein engster militärischer Berater. Ich erinnere mich an unzählige Besprechungen, in denen Sie wegweisende Akzente setzten. Der Mut, mit dem Sie als Erster bereit waren, in der Nato die VJTFVery High Readiness Joint Task Force zu stellen. Die Präzision, mit der Sie die Bundesregierung beraten haben in den Stunden und Tagen als der ISIslamischer Staat im Irak und in Syrien Mossul eroberte und die Jesiden abschlachtete. Ihre Standhaftigkeit, als alle vom Abzug aus Afghanistan sprachen und Sie unsere Verpflichtung gegenüber den Afghanen anmahnten. Immer standen Sie mir mit Rat und Tat loyal zur Seite. Das gilt auch für das Parlament. Es gibt wohl kaum jemanden, der so geschätzt und so geachtet ist in Koalition und Opposition gleichermaßen.
Und auch international haben Sie sich größten Respekt erworben. In NATO und EU sind Sie ein im höchsten Maße geachteter Gesprächspartner, und auch weit darüber hinaus. Ihr Wort hat Gewicht bei unseren Partnern und Verbündeten. Zahlreiche, höchste internationale Auszeichnungen sind Ausdruck Ihres Renommees, viel mehr aber noch die Anwesenheit höchster Repräsentanten unserer Verbündeten Streitkräfte hier heute Abend. Das ist ein großartiges Zeichen der außergewöhnlichen Wertschätzung des Soldaten und der Person Volker Wieker. Diese große Anerkennung, die Sie in den Streitkräften unserer Partner und Verbündeten genießen, lieber Herr Wieker, strahlt auf die gesamte Bundeswehr aus.
Gestatten Sie mir, dass ich noch ein paar Sätze über den Menschen Volker Wieker sage. Einen Menschen, den ich fachlich wie persönlich über alle Maßen schätze; mit dem ich hart diskutieren und genauso herzlich lachen kann. Ich schätze Sie für Ihren tiefgründigen Humor, für Ihre feinen Antennen im Umgang mit Menschen, für Ihre Geradlinigkeit, Ihre Weitsicht und Ihren Scharfsinn. Als Niedersächsin schätze ich Sie natürlich auch für Ihre typisch norddeutsche Sturmfestigkeit, Ihre Gelassenheit und Ihre Bodenhaftung. Und als Reiterin habe ich höchsten Respekt vor dem ehemaligen niedersächsischen Jugendmeister im Vielseitigkeitsreiten!
Seit fast 44 Jahren sind Sie jetzt Soldat in diesen Streitkräften – eine stolze Zeit. Über ein Fünftel davon haben Sie das höchste militärische Amt der Bundeswehr bekleidet. Das waren sicherlich erfüllende, aber immer wieder auch extrem fordernde Stunden. Nun freuen Sie sich zu Recht auf mehr Zeit zu Hause. Auf mehr Zeit mit Ihrer Frau und Ihren beiden Kindern, auch wenn die zwei schon auf eigenen Beinen stehen. Sie freuen sich auf Ganderkesee; auf den Teich, den Sie gern mit einem Glas Weißwein umrunden; auf die Hecken, die beschnitten werden wollen; aber auch auf Friesenkrimis und Nordseeinseln, die noch entdeckt werden wollen – und, und, und.
Mit Freude habe ich vernommen, dass Sie sich weiterhin unseren künftigen Führungskräften widmen wollen. Wenn Sie also zwischen Ganderkesee und Sylt ab und zu noch einen Abstecher nach Hamburg an die FüAkFührungsakademie der Bundeswehr machen, dann empfinden wir das als ein großes Geschenk.
Lieber Herr Wieker, ich danke Ihnen von Herzen für Ihr außergewöhnliches Wirken als ranghöchster Soldat der Bundeswehr, für Ihre Loyalität, für Ihren hohen persönlichen Einsatz. Wir alle stehen heute hier voller Respekt, voller Dankbarkeit und durchaus auch mit einer gehörigen Portion Wehmut.
Für die Zeit, die nun kommt, wünsche ich Ihnen und Ihrer Familie von Herzen alles Gute, vor allem Gesundheit und Gottes Segen.
Es war mir eine große Ehre, mit Ihnen zusammenzuarbeiten und gemeinsam unserem Land zu dienen.