Nachts. Irgendwo in einem kalten, dunklen Raum. Ein Mann sitzt vor der Bombe – roter oder blauer Draht? Trotz der Kälte läuft ihm der Schweiß übers Gesicht. Er zittert leicht, als er die Zange ansetzt, um den Draht zu durchtrennen.
Eine Szene, wie wir alle aus Filmen kennen. Aber sieht so wirklich die Realität aus?
Wir sind auf einem Schießgelände in Mali, etwa vier Stunden von der Hauptstadt Bamako entfernt. Das Thermometer zeigt 46°C und die Luftfeuchtigkeit beträgt 91 Prozent. Nach sechs Wochen intensiver Vorbereitung und Training findet heute der erste scharfe Schuss für Feldhaubitzen vom Typ D30 im „indirect Fire“-Verfahren statt. Indirekt bedeutet, dass die Geschützbesatzungen an den Haubitzen keine direkte Sicht zum Ziel haben. Das ist der Standard beim Artillerieschießen.
Ein vorgeschobener Beobachter weiter vorne im Gelände hat das Ziel aber genau im Blick und wird die Zieldaten an die Geschützbesatzungen durchgeben. Artilleristisches Schießen mit dem Einschießen auf das Ziel und den variierenden Feueraufträgen ist komplex und für das 36. Artillerieregiment der malischen Streitkräfte komplett neu.
Dann soll das Schießen beginnen, die Munitionstransporte erreichen die Feuerstellung. Als die Soldaten in der Stellung schweißüberströmt die Munition vom Kaliber 122mm vom LKWLastkraftwagen entladen, kommt der auch Kampfmittelabwehrtrupp aufgrund seiner munitionstechnischen Fachausbildung ins Spiel.
„Wir machen eine Sichtprüfung der Munition und der Zünder“, erklärt Hauptfeldwebel Andy K. Zusammen mit seinem Kameraden Andy S., ebenfalls Hauptfeldwebel, prüft er die Beschaffenheit der Munition und sucht nach eventuellen Beschädigungen. Bisher verfügt die malische Armee noch über zu wenig ausgebildetes munitionstechnisches Fachpersonal, sodass die Unterstützung durch die beiden Kampfmittelabwehrfeldwebel gerne in Anspruch genommen wird.
Die Soldaten sind bei der Ausbildungsmission in Mali primär für den Schutz eigener Kräfte zuständig. Dazu suchen sie Fahrzeuge ab, die in das Camp einfahren wollen, röntgen verdächtige Gegenstände, überprüfen kampfmittelbelastetes Gelände und begleiten wie hier Schießvorhaben der EUTM und auch der malischen Armee.
Die beiden Hauptfeldwebel, unterstützt vom Kraftfahrer des Trupps, Daniel M., sind seit vier Jahren ein eingespieltes Team. Und doch ist nichts Routine. In der Kampfmittelabwehr gibt es kein „Schema F“, keine Musterlösungen. Aber gerade das mögen sie: „Das ist eigentlich das Beste an dem Job, Improvisieren ist meine Stärke“, sagt Hauptfeldwebel S. nicht ohne Stolz. Hauptfeldwebel Andy K., gleichzeitig Truppführer des Teams, stimmt zu: „Ich kann mir keinen besseren Beruf vorstellen, weil ich hier Technik mit Waffen und Abwechslung vereinen kann. Immer dann, wenn andere nicht weiter wissen, werden wir gerufen.“
Dann sind die Feldhaubitzen feuerbereit. Das Schießen beginnt planmäßig. Langsam, geordnet und konzentriert arbeiten die Trainer mit den malischen Soldaten die Schießverfahren ab. Alles läuft reibungslos, doch dann passiert – nichts. Ein Versager. Das Geschoss steckt im Rohr, aber die Treibladung in der Hülse zündet nicht. Unruhe bei der Geschützbesatzung. Was tun? Als alle anderen nervös werden, bleiben die beiden Spezialisten gelassen. Nach kurzer Wartezeit übernehmen die beiden Hauptfeldwebel die Regie am Geschütz. Ihr Entschluss: Das Geschütz wird entladen. Die Munition soll abseits durch Sprengen vernichtet werden. Routinemäßig bereiten sie alles vor, was sie dafür brauchen. Drei Jahre lang haben sie ihr Handwerk gelernt.
Wichtigste Vorbereitung: Der Gefahrenbereich wird weiträumig abgesperrt, um sodann den Sicherheitsabstand für die Soldaten im Gelände zu ermitteln und kenntlich zu machen. Die Kampfmittelabwehrfeldwebel markieren die Grenze des Sicherheitsabstands, der frei von Personen sein muss. Alle relevanten Daten wie die Koordinaten des Sprengortes, die erforderlichen Sicherheitsabstände, die Munition, weitere Munitionslagerorte und sogar die des Luftraumes werden genau dokumentiert.
Dann laufen die Vorbereitungen für die Sprengung an. Der Sprengstoff sieht aus wie rosa Marzipanmasse. Mit einem Kilo davon soll das Geschoss restlos vernichtet werden. Der Sprengstoff wird platziert und der Fernzünder angebracht. Dann fahren wir aus dem Gefahrenbereich. Der Truppführer versichert sich bei den eingeteilten Absperrposten, dass alles sicher ist und frei von Personen und – das ist in Mali nicht selten – Nutzvieh. Dann ruft er in das Funkgerät: „Fire in the Hole, Fire in the Hole, Fire in the Hole“. Nur Sekunden später ertönt ein ohrenbetäubender Knall, der selbst in einem Kilometer Entfernung noch deutlich zu hören ist. Dann steigt Rauch auf.
Wir warten eine vorgeschriebene Zeit ab, dann erst geht der Truppführer nach vorne und vergewissert sich, dass keine gefährlichen Teile oder Sprengstoffreste mehr vorhanden sind. Das Gebiet wird gründlich abgesucht, von der Granate aber ist nichts mehr zu sehen. Die malischen Soldaten sind erleichtert – die Spezialisten von der Kampfmittelabwehr sind zufrieden. Alles verlief planmäßig.
Der Konvoi setzt sich in Bewegung, es geht zurück ins Camp. Es war ein langer Tag. Die Uniform ist schweißnass, die Haut rot – trotzdem ist Andy K. zufrieden: „Wir sind froh, der malischen Armee geholfen zu haben. Es war ein anstrengender, aber erfolgreicher Tag. Niemand wurde verletzt und alles verlief wie geplant.“