Der Einsatz der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sowie der Entwicklungsexperten sollte in Deutschland noch stärker gewürdigt werden. Diese Ansicht hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, im Interview mit der Redaktion der Bundeswehr vertreten. „Die Soldatinnen und Soldaten verdienen für ihren Dienst viel mehr Anerkennung“, sagte Müller.
Vernetztes Regierungshandeln wird immer wichtiger. So macht es etwa das Weißbuch 2016 deutlich. Was sagen Sie in diesem Kontext zur Zusammenarbeit zwischen BMZBundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und BMVgBundesministerium der Verteidigung?
Ohne Frieden keine Entwicklung und ohne Entwicklung keinen Frieden. Wer international Verantwortung übernehmen will, kommt an vernetztem Handeln nicht vorbei – da sind Ministerin von der Leyen und ich einer Meinung. Deswegen haben wir die Zusammenarbeit zwischen unseren Häusern weiter intensiviert – gerade auch bei der Erstellung des Weißbuches. Noch nie hat Entwicklungspolitik in einem Weißbuch eine so große Rolle gespielt. Den vernetzten Ansatz setzen wir durch gemeinsame Konferenzen fort, in der wir beispielsweise neue Perspektiven für die Zukunft Afrikas entwickeln.
In die Einsatzländer – wie funktioniert nach Ihrem Eindruck die Kooperation zwischen zivilen Helfern und der Bundeswehr?
Die Zusammenarbeit funktioniert gut. Wir können aber noch besser werden – gerade in der Einsatzvorbereitung. Hier haben die Niederländer uns einiges voraus. Dort arbeiten Soldaten, Diplomaten und Entwicklungsexperten schon vor dem Auslandseinsatz eng zusammen. Wenn sie in den Einsatz gehen, haben sie die Aufgaben und Mandate der anderen Seite bereits verinnerlicht. Das erleichtert die Zusammenarbeit ungemein.
Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie auf Ihren Reisen bei Ihren Gesprächen mit den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gemacht?
Ob in Mali, am Horn von Afrika oder zuletzt beim Einsatzkommando für die Rettungsaktionen im Mittelmeer – ich treffe überall auf hoch engagierte Frauen und Männer, die auch großen Respekt vor den Leistungen der Entwicklungszusammenarbeit haben.
Der Einsatz der Bundeswehrsoldaten und unserer Entwicklungsexperten wird in Deutschland immer noch nicht ausreichend gewürdigt. Die Soldatinnen und Soldaten verdienen für ihren Dienst viel mehr Anerkennung.
Wohl noch nie stand Afrika so sehr im Fokus deutscher Regierungspolitik. Inwieweit hängt Deutschlands Zukunft auch von der Entwicklung des afrikanischen Kontinents ab?
Wir sind schon heute enger mit Afrika verbunden, als viele glauben. In jedem Auto, in jedem Handy steckt ein Stück Afrika. Ohne Coltan aus dem Kongo oder andere afrikanische Rohstoffe wäre unser heutiger Lebensstandard gar nicht denkbar. Handys und Autos würden nicht funktionieren. Afrika darf aber nicht nur Rohstofflieferant sein. Wir brauchen einen gerechten Handel und Wirtschaftswachstum, das bei den Menschen in Afrika ankommt. Es kann nicht sein, dass Kinder nicht zur Schule gehen können, weil sie unsere Kaffeebohnen ernten, aus denen wir morgens unseren Kaffee brühen. Oder dass Frauen in Äthiopien für einen Hungerlohn unsere Kleidung nähen. Wenn es uns nicht gelingt, die Globalisierung gerecht zu gestalten, werden viele Menschen gar keine andere Möglichkeit sehen, als sich auf den Weg zu uns zu machen.
Wir können nicht alle notleidenden Menschen bei uns aufnehmen. Aber wir können zu ihnen gehen und vor Ort Zukunftsperspektiven schaffen. Das bedeutet in erster Linie: Bildung für Kinder, Ausbildung für Jugendliche, Jobs für Erwachsene. Bildung, Ausbildung, Jobs – das sind nicht nur Voraussetzungen für einen nachhaltigen Entwicklungspfad, für Zukunftsperspektiven und Zuversicht. Sie sind auch entscheidend, damit sich die Menschen nicht in die Hände radikaler Gruppen und Terroristen begeben. Entwicklung und Frieden gehören zusammen.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Entwicklungsminister Gerd Müller nehmen an der Konferenz "Sicherheit, Frieden und Entwicklung in Afrika" teil.
Sie fordern einen Marshall-Plan mit Afrika, was soll der konkret bewirken?
Afrika ist für uns als Nachbarkontinent zu wichtig, die Herausforderungen sind gewaltig. Wir brauchen in allen Politikfeldern eine Zusammenarbeit in neuer Dimension: Von einer gerechteren Handelspolitik über ambitionierte Klima- und Energiepolitik bis hin zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit auf Augenhöhe – dafür steht der Marshall-Plan.
Ein Aufwuchs öffentlicher Entwicklungsgelder ist notwendig. Wir wollen aber auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen verbessern. Denn Jobs schafft auf Dauer nicht der Staat, sondern die Privatwirtschaft. Derzeit investieren von 400.000 international tätigen deutschen Unternehmen ca. 1000 in Afrika. Die deutsche Wirtschaft muss Afrika als Chancenmarkt begreifen, wie es China schon seit Jahren macht. Wir als Bundesregierung können dies unterstützen, indem wir Investitionsrisiken absichern.
Bei den Investitionsbedingungen stehen aber vor allem die afrikanischen Regierungen in der Pflicht: Sie müssen ernsthaft Korruption bekämpfen und die rechtstaatlichen Strukturen stärken. Die Reformchampions unter den afrikanischen Staaten wollen wir besonders unterstützen. Das machen wir zum Beispiel über Reformpartnerschaften mit Tunesien, Ghana und der Elfenbeinküste. Wir fordern und fördern!
Ihnen liegt besonders das Schicksal der Jugend in Afrika am Herzen – was besorgt Sie am meisten?
Afrika ist ein junger Kontinent: Die Bevölkerung wird sich bis 2050 verdoppeln, jedes Jahr werden 20 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze benötigt. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei bis zu 50 Prozent! Mit der Armut wachsen Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit – das sind die Nährböden von Schleppern und Terroristen. Deswegen investieren wir so viel in die Berufsbildung. In Ghana oder Ruanda werden zum Beispiel KfZ-Mechaniker oder Schweißer ausgebildet – und zwar in enger Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft, damit die Auszubildenden auch das lernen, was der Markt benötigt.
Bei der Bekämpfung von Fluchtursachen steht Afrika im Zentrum der Aufmerksamkeit – welche anderen Kontinente müssen Sie in den Blick nehmen und warum?
Die Lage von Flüchtlingen ist vor allem in unser Blickfeld geraten, weil 2015 hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Was wir dabei oft vergessen: 90 Prozent der Flüchtlinge kommen gar nicht nach Europa. Sie leben in Entwicklungs- und in Schwellenländern – also in Ländern, die ohnehin wenig zum Teilen haben. Hunger, Gewalt, Unterdrückung – Fluchtursachen findet man auf allen Erdteilen – in Afghanistan und Bangladesch genauso wie in Syrien oder selbst in Ländern Südamerikas. In Kolumbien gibt es allein über sieben Millionen Binnenvertriebene!
Zunehmend wird auch der Klimawandel die Fluchtbewegungen beeinflussen. Denn wo kein Gras mehr wächst und die Menschen ihre Felder nicht bestellen können oder wo der ansteigende Meeresspiegel Küsten überschwemmt, werden die Menschen sich ein neues Zuhause suchen müssen. Gerade der Klimawandel zeigt, dass wir nicht auf einer Insel leben, wo uns der Rest der Welt nichts angeht.
Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, vernetztes Regierungshandeln sind nicht nur nationale Aufgaben – wie muss sich Europa auf diesen Feldern entwickeln?
Die EU ist die größte Handelsmacht der Welt. Wenn wir die Globalisierung gerecht gestalten wollen, dann muss das auch über die EU gehen. Ein Beispiel: In Deutschland haben wir 2014 ein Textilbündnis gegründet, mit dem wir die internationalen Lieferketten sozial gerecht und umweltbewusst gestalten. Vom Wasserverbrauch beim Baumwollanbau, über Chemikalienmanagement beim Färben der Fasern bis hin zu gerechten Löhnen für die Näherinnen. Mittlerweile haben wir 140 Mitglieder und decken die Hälfte des deutschen Textil-Einzelhandels ab. Deutschland ist einer der größten Märkte für Mode und Textilien. Bei anderen EU-Mitgliedsstaaten stößt unser Ansatz auf großes Interesse. Wir müssen dahin kommen, dass niemand in Europa Kleidung trägt, für die Menschen ausgebeutet oder vergiftet wurden. Als Bundesregierung gehen wir übrigens voran und werden bis 2020 mindestens die Hälfte der Textilien, die für den Bund hergestellt werden, nachhaltig beschaffen. Dann setzen wir hoffentlich auch mit den Bundeswehruniformen ein Zeichen für fairen Handel. Denn Entwicklung und Sicherheit gehören zusammen!
Die Fragen stellte Jörg Fleischer.