Das Verteidigungsministerium hat am 19. Januar eine Militärische Luftfahrtstrategie veröffentlicht. Im Interview mit der Redaktion der Bundeswehr erläutert Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder die Ziele der Strategie und ihre Bedeutung für die Bundeswehr und den Industriestandort Deutschland.
Die Militärische Luftfahrtstrategie ist im Wesentlichen ein Dokument, das unseren militärischen Bedarf darstellt. Was brauchen wir an Fähigkeiten in der Dimension Luft? Das notwendige Fähigkeitsprofil wird dann gespiegelt an unserem heutigen Stand, um daraus Entwicklungslinien abzuleiten. Die Luftfahrtstrategie ist ein offenes Dokument, ein Erklärstück für das Parlament und für die Öffentlichkeit. Es ist auch ein Abholpunkt für die wehrtechnische Industrie.
Mit Brigitte Zypries, die als Luft- und Raumfahrtkoordinatorin der Bundesregierung unser verantwortliches Gegenüber ist, lief die Zusammenarbeit wirklich sehr, sehr gut. Die übergreifenden Linien – wo wollen wir hin, was sind unsere Anforderungen an die Industrie, was ist unser Standpunkt – haben wir sehr konstruktiv und offen besprochen. Es ist gut und richtig, dass wird das gemeinschaftlich gemacht haben.
Trotzdem ist mir wichtig zu sagen, dass die Militärische Luftfahrtstrategie ein Dokument des BMVgBundesministerium der Verteidigung ist. Nur wir können unseren Bedarf erklären. Die Bundeswehr beschafft was sie braucht und nicht was ihr angeboten wird.
Die Bundesrepublik Deutschland ist für die wehrtechnische Industrie aufgrund des Exports nicht der einzige und auch nicht immer der größte Kunde, aber sie ist ein sehr wichtiger Kunde. Gerade in der Luftfahrt, wo sie Entwicklungslinien von zehn, zwanzig, dreißig oder mehr Jahren haben, ist es für die deutsche Industrie wichtig, die Entwicklungslinien von Deutschland und der Bundeswehr zu kennen, um ihre Entwicklungsressourcen entsprechend zu priorisieren.
Die Militärische Luftfahrtstrategie ist ein Bekenntnis zur Dimension Luft. Die Fähigkeiten in diesem Bereich sind zentral und müssen langfristig weiterentwickelt werden. Darauf kann sich die Industrie einstellen. Wir haben aber auch Ansprüche an sie. Insbesondere die Einsatzbereitschaft muss besser werden.
Die Luftfahrtstrategie ist Teil der Agenda Rüstung. Indem sie unsere Bedarfe und Anforderungen definiert, gibt sie einen klaren und transparenten Kurs vor. Es gab im Vorfeld natürlich Gespräche und Diskussionen mit der Industrie. Der Inhalt, also unser Bedarf, ist allerdings nicht abgestimmt worden. Denn wir wollen zwar Klarheit für die Industrie als unseren strategischen Partner, aber wir definieren, was wir brauchen.
Das Thema Multinationalität ist einer der Schwerpunkte der militärischen Luftfahrtstrategie. Im Bereich Luft kann man hochkomplexe Luftfahrzeuge eigentlich nicht mehr alleine herstellen. Das Dokument bekennt sich deshalb ganz klar zu Europa. Aber wir müssen Multinationalität künftig anders gestalten. Bislang erhält jedes Land letztlich doch sein eigenes Luftfahrzeug. Beispielsweise hat der A400M für jedes Land unterschiedliche Spezifikationen. Außerdem war die Verteilung der Industrie und Produktion bislang nicht immer nach dem Prinzip ausgerichtet „wer kann was am besten“ – sondern „wo können Arbeitsplätze geschaffen werden“. Das können nicht mehr die Prinzipien der Zukunft sein.
Wir wollen bei Rüstungsprojekten zukünftig eine „Lead Nation“ haben. Das bedeutet nicht, dass dort alle Arbeitsplätze sein müssen. Vielmehr geht es um die Verantwortung für den Prozess. Die Eurodrohne ist ein Beispiel dafür. Deutschland übernimmt die Verantwortung und treibt den Prozess vorwärts. Der zweite neue Gedanke ist: Wir müssen stärker auf individuelle Wünsche verzichten und uns auf einen gemeinsamen Katalog, ein Set an Anforderungen verständigen. Wenn wir das nicht tun, sind wir zu langsam und zu kompliziert. Das Portfolio von Rüstungsprojekten ist groß genug, um einen Verzicht auszugleichen. Wer bei einem Projekt „Lead Nation“ ist, kann sich an anderer Stelle einordnen. Beim Ansatz der Eurodrohne merken wir, dass die internationalen Partner grundsätzlich bereit sind mitzugehen.
Da sind wir beim Thema Schlüsseltechnologien. Im August 2015 hat die Bundesregierung ein Strategiepapier zur Stärkung der deutschen Verteidigungsindustrie beschlossen und verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien definiert, die in Deutschland erhalten bleiben sollen. Hierzu zählt alles rund um das Thema Sensorik. Weitere Schlüsseltechnologien sind Systemverbundfähigkeiten – also das Verständnis, wie wirken einzelne Teile zusammen – sowie der Bereich Cyber/ITInformationstechnik.
Das Projekt ist für die dritte Dekade angedacht. Das ist noch ein bisschen hin. Aber: Wir müssen trotzdem jetzt anfangen, wenn wir die Zukunft auch technologisch aktiv gestalten wollen.
Ich glaube, die Zukunft der militärischen Luftfahrt wird bemannt und unbemannt sein. Der Systemverbund hat die unbemannte Komponente Drohne und die bemannten Komponente Eurofighter. Wir werden beides brauchen, wir werden beides haben. Möglicherweise wird das „Next Generation Weapon System“ eine Mischung aus bemannt und unbemannt sein. Das lässt sich heute aber noch nicht abschließend sagen. Dazu werden wir auch noch dieses Jahr mit unseren europäischen Freunden sprechen.
Die Luftfahrtstrategie ist kein sicherheitspolitisches Dokument. Aber natürlich ist sie nicht losgelöst von den sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen. Wir wissen aus dem Weißbuchprozess und den Workshops, dass die Anzahl und die Diversität von Bedrohungen nicht abnehmen. Wir werden die Fähigkeiten im Bereich Luft brauchen.
Wir haben gerade im Bereich Aufklärung große Fähigkeitslücken. Deshalb haben wir in der vergangenen Woche entschieden, Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron TP als Überbrückungslösung bis zur Eurodrohne zu leasen. Wir haben außerdem im Bereich Führung, im Speziellen bei ITInformationstechnik und Führungsinstrumenten, noch Lücken. Und ein weiteres Problem ist die niedrige Einsatzbereitschaft vieler Plattformen. Hier haben wir zwar keine Lücke auf dem Papier, aber eine faktische. Die Einsatzbereitschaft ist ein so wichtiges Thema in der Bundeswehr, dass wir den operativen Mangel zu einem strategischen Thema erhoben haben.
Wir sind definitiv auf Kurs. Und wir haben Strecke gemacht, um im Bild zu bleiben. Dass wir es geschafft haben, im letzten Jahr alle Haushaltsmittel zu verausgaben und ein Volumen von fast einer Milliarde zwischen den Rüstungsprojekten umzuverteilen, wäre ohne besseres Risikomanagement, besseres Projektmanagement, mehr Transparenz und schnellere Prozesse nicht möglich gewesen. Das ist ein Beispiel, um zu zeigen, dass die Agenda Rüstung wirkt. Wir haben klare Endprodukte definiert, die viele Einzelbausteine wie ein Vertragshandbuch, Projektwikis und Reportingsysteme umfassen. Außerdem haben wir mehr Juristen eingestellt und externe Hilfe eingeholt, um Prozesse zu verändern. Ganz ganz viele Einzelbausteine, die systematisch abgeliefert wurden und werden. Gleichzeitig gilt weiterhin: Wir brauchen Zeit und Durchhaltevermögen bei dem Veränderungsprozess. Aber wir liefern und wir haben Erfolg.