Verteidigungsministerium und Bundeswehr blicken auf ein ereignisreiches Jahr zurück. Auch wenn die Aktivitäten zur „Sommerpause“ kaum nachlassen, bietet sie einen guten Anlass für eine Bestandsaufnahme.
Mit dem 17. Juli 2020 ist Annegret Kramp-Karrenbauer seit einem Jahr Bundesverteidigungsministerin. Direkt nach ihrer Amtsübernahme gab die Verteidigungsministerin in ihrer Regierungserklärung am 24. Juli bekannt, dass ihr die Sichtbarkeit der Bundeswehr im Land ein besonderes Anliegen sei: „Wir werden die Sichtbarkeit der Bundeswehr in unserem Land, in unserer Gesellschaft erhöhen. Ob das das freie Bahnfahren in Uniform ist, oder Gelöbnisse und Zapfenstreiche in der Öffentlichkeit.“
Am 12. November 2019 folgte zum 64. Gründungstag der Bundeswehr eines von deutschlandweit insgesamt sechs öffentlichen feierlichen Gelöbnissen vor dem Berliner Reichstag.
Soldatinnen und Soldaten können für ihre kostenfreien Bahnfahrten in Uniform mittlerweile eine App auf dem eigenen Smartphone oder Tablet nutzen. Die Bundeswehr hat die Software selbst entwickelt.
Und Anfang des Jahres gab es ein Novum in der Bundeswehrgeschichte: Erstmals bekamen Soldatinnen und Soldaten in Uniform die Möglichkeit, kostenfrei das Angebot der Deutschen Bahn zu nutzen. Das kostenfreie Bahnfahren wurde sehr gut angenommen: Rund 300.000 Mal wurde das Angebot bisher genutzt, womit auch die Anstrengungen zum Klimaschutz unterstützt werden. Eine Ausweitung auf den Regionalverkehr wird angestrebt und derzeit verhandelt. Die Bundesregierung hat darüber hinaus beschlossen, dieses Angebot in einen Rechtsanspruch zu wandeln und ihn im Soldatengesetz zu verankern.
Sowohl die öffentlichen feierlichen Gelöbnisse als auch das kostenfreie Bahnfahren in Uniform sind eine wichtige Anerkennung der Leistungen der Frauen und Männer, die oftmals unter harten und gefährlichen Bedingungen weltweit ihren Dienst versehen.
Die Leitlinien ihrer Politik hatte sie im November in einer Rede an der Universität der Bundeswehr in München skizziert: Deutschland müsse seine Interessen kraftvoller wahrnehmen, so die Ministerin. Die Zusammenarbeit mit den Partnern in der Europäischen Union und der NATO müsse enger verzahnt werden, um die Widerstandsfähigkeit oder Resilienz des Landes gegen Bedrohungen aller Art zu erhöhen. Großbritannien sei dabei trotz Brexit weiter ein wichtiger Partner.
Die Erhöhung der sicherheitspolitischen Handlungs- und der Widerstandsfähigkeit Europas ist folgerichtig auch eines der wichtigsten Ziele für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die am 01. Juli begonnen hat.
Die Europäische Union wird in Zukunft als Wertegemeinschaft mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen und gleichzeitig ihren Verpflichtungen in der Welt nachkommen. Dafür stärken wir Europas Resilienz und Ability to Act.Presseerklärung des Verteidigungsministeriums zum Start der EU-Ratspräsidentschaft
Wenn Europa dieses Ziel erreichen will, dann muss es sich auch jenseits der eigenen Grenzen engagieren, um Bedrohungen für Europa abzuwenden. Das gilt beispielsweise für die Sahelzone in Westafrika, in der islamistische Terrormilizen die Legitimität staatlicher Autoritäten infrage stellen. Entsprechend hat der Bundestag die Mandate für die beiden Bundeswehr-Einsätze in Mali erst im Mai nicht nur um ein weiteres Jahr verlängert, sie sollen sukzessive auf die G5-Sahel-Staaten ausgeweitet werden. Derzeit sind rund 1.000 deutsche Soldaten bei den Missionen MINUSMAMission Multidimensionnelle Intégrée des Nations Unies pour la Stabilisation au Mali und EUTMEuropean Union Training Mission Mali im Einsatz – im Auftrag der Vereinten Nationen und unter der Flagge der Europäischen Union. Das EUTMEuropean Union Training Mission-Mandat wurde robuster ausgestaltet und umfasst eine wesentlich engere Begleitung der auszubildenden malischen Einheiten. Dazu wurde die personelle Obergrenze um 100 angehoben. EUTMEuropean Union Training Mission Mali bleibt dabei eine nicht-exekutive Ausbildungsmission.
„A Force for the EU and NATO.“ Über diesen Wahlspruch definiert sich das Eurocorps.
Die militärischen Fähigkeiten der EU werden durch die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit PESCOPermanent Structured Cooperation (Permanent Structured Cooperation) gestärkt: 25 Staaten Europas arbeiten bei der PESCOPermanent Structured Cooperation in 46 Projekten zusammen, sechs davon werden von Deutschland koordiniert. Auch auf diese Weise leistet die Bundeswehr ihren Beitrag zu einem handlungsfähigen Europa.
Davon profitiert aber auch die NATO: Je stärker ihr europäischer Pfeiler ist, desto stärker ist das transatlantische Bündnis insgesamt.
Nachdem mit Ende des Kalten Kriegs in der Bundeswehr zwei Jahrzehnte lang gekürzt und gespart wurde, sind endlich substanzielle Fortschritte zu verzeichnen. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 31 Parlamentsvorlagen für Beschaffung mit einem Volumen oberhalb von 25 Millionen Euro bewilligt. So wurde zum Beispiel die Beschaffung von vier Mehrzweckkampfschiffen 180 beschlossen, mit Option auf zwei weitere. Die laufenden Investitionen beliefen sich auf circa 14 Milliarden Euro. Knapp vier Milliarden wurde für den Materialerhalt der Ausrüstung ausgegeben. Etwa sechs Milliarden Euro gingen in die militärische Beschaffung. Auch in Betreiberlösungen, wie die Heeresinstandsetzungslogistik (HILHeeresinstandsetzungslogistik) oder den ITInformationstechnik-Dienstleister, die BWI, wurde mit knapp 2,7 Milliarden Euro investiert.
Die Anstrengungen zeigen endlich auch Wirkung für die Praxis: In der Truppe liefen allein im letzten Halbjahr eine Fregatte, sieben Hubschrauber und ein Transportflugzeug zu, außerdem 42 gepanzerte Fahrzeuge und rund 500 militärische Transportfahrzeuge. Des Weiteren kommen täglich etwa zehn fabrikneue, handelsübliche LKWLastkraftwagen in der Truppe an und ersetzen altes Material - ein erheblicher Beitrag zur Attraktivität und durch die höhere Effizienz der Fahrzeuge auch zum Umweltschutz.
Ihre internationalen Verpflichtungen kann die Bundeswehr nur mit funktionierendem Gerät erfüllen. Eine im Durchschnitt unter 70 Prozent liegende materielle Einsatzbereitschaft der Waffensysteme im Jahr 2019 war der Verteidigungsministerin zu wenig. Auf der Bundeswehrtagung im Februar 2020 äußerte sie ihre Forderung ganz klar: „Ende des Jahres müssen wir bei der materiellen Einsatzbereitschaft besser dastehen als 2019“. Mit der Vorstellung der „Initiative Einsatzbereitschaft“ wies die Ministerin ihr Ressort an, durch gemeinsame Kraftanstrengung der gesamten Bundeswehr dafür Sorge zu tragen, die Verfügbarkeit von Gerät und Fahrzeugen bis Jahresende 2020 deutlich zu verbessern.
Ein halbes Jahr später stellte der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn, bei der Vorstellung des Berichts zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr für das erste Halbjahr 2020 fest: „Die materielle Einsatzbereitschaft der 68 Hauptwaffensysteme der Bundeswehr hat in den vergangenen sechs Monaten leicht zugenommen und liegt bei nunmehr knapp über 70 Prozent“. Allerdings gibt es in einigen Bereichen weiteren Handlungsbedarf. Die Aktivitäten werden daher noch einmal verstärkt, um unter anderem die Verfügbarkeit des Schützenpanzers Puma bis Jahresende zu verbessern.
Die HILHeeresinstandsetzungslogistik bleibt beim Bund: Wichtige Instandsetzungsmaßnahmen können so weiterhin flexibel und eigenständig von der Bundeswehr erledigt werden.
Vom Tisch dagegen ist die ursprünglich geplante Abgabe der vom Instandsetzungsdienstleister HILHeeresinstandsetzungslogistik Heeresinstandsetzungslogistik GmbHGesellschaft mit beschränkter Haftung betriebenen Werke an private Betreiber: Das für die Wartung von militärischem Großgerät zuständige Unternehmen wird stattdessen mit einer 160-Millionen-Euro-Investition gestützt. Die Werke an den Standorten Darmstadt, Doberlug-Kirchhain und Sankt Wendel bleiben im Besitz des Bundes. Ergänzt wurde dies durch ein Gesetz zur beschleunigten Beschaffung von Rüstungsgütern für Auslandseinsätze. Für dringend benötigte Waffen und Ersatzteile sind nun Ausnahmen vom Vergaberecht der Europäischen Union möglich. Gleiches gilt für Schlüsseltechnologien.
Die Tornado-Kampfjets der Bundeswehr sind in die Jahre gekommen. Bis 2030 sollen sie ausgemustert werden. Die Maschinen dieses Typs tragen unter anderem zum elektronischen Kampf und zur nuklearen Teilhabe Deutschlands bei. Für die Zeit, bis der neue deutsch-französische Kampfjet – der Next Generation Fighter (NGFNext Generation Fighter) - ab 2040 zur Verfügung steht, hat das Verteidigungsministerium einen Vorschlag erarbeitet. Er sieht vor, die Fähigkeiten des Tornados durch Kampfflugzeuge vom Typ Eurofighter und F-18 zu ersetzen.
Kontrovers geführt wurde die Debatte über eine mögliche Beschaffung bewaffneter Drohnen. Experten mit unterschiedlichster Expertise und Perspektive haben völkerrechtliche, verfassungsrechtliche, ethische und politische Aspekte öffentlich diskutiert. Damit hat das Verteidigungsministerium seinen Beitrag zur Umsetzung des Koalitionsvertrags geleistet. Das Ergebnis wurde in Berichtsform dem Deutschen Bundestag übergeben. Dem Parlament liegt damit eine ausgewogene und fundierte Entscheidungsgrundlage vor.
Die Deckung des Personalbedarfs war in den letzten Jahren eine der großen Herausforderungen im Ministerium. Jetzt zeigt sich Entspannung: Die Personalplaner konnten im Mai verkünden, dass erstmals seit Langem kein höherer Bedarf an Soldatinnen und Soldaten angemeldet werden muss.
Die Truppe konnte ihren Personalbestand seit 2016 um rund 9.000 auf jetzt rund 185.000 Uniformierte aufstocken. Darunter sind 22.800 Frauen. Mit dem zivilen Bereich der Bundeswehr sind circa 20 Prozent der Bundeswehrangehörigen weiblich. 2027 soll es 203.000 Soldatinnen und Soldaten geben: bei den Rekrutierungszahlen der letzten Jahre ein realistisches Ziel. Die Bundeswehr ist bei Jugendlichen der zweitbeliebteste Arbeitgeber direkt nach der Polizei, bei den Fachkräften gelang erstmals der Sprung unter die Top 20. Karriereoptionen bieten sich dabei nicht nur in Uniform: In den kommenden sieben Jahren sollen 1.800 zusätzliche Arbeitsplätze für zivile Fachkräfte geschaffen werden.
Es geht aber nicht nur darum, neues Personal zu gewinnen. Mindestens genauso wichtig ist es, vorhandenes zu halten. Das Gesetz zur Modernisierung der Besoldungsstrukturen bringt seit dem 01. Januar mehr Geld in die Kassen vieler Soldatinnen und Soldaten: Zulagen für besonders anspruchsvolle Tätigkeiten wurden ebenso erhöht wie Auslandsverwendungszuschläge. Zudem gibt es höhere Ausgleiche für Pendler und – falls der Dienstposten einen dauerhaften Ortswechsel erforderlich macht – mehr Auswahl bei Trennungsgeld und Umzugskosten.
Als Extremisten enttarnte Personen werden aus dem Dienstverhältnis entfernt. Hier folgt die Bundeswehr einer Null-Toleranz-Politik. Deshalb wird unter anderem das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst personell aufgestockt, um Extremisten in der Bundeswehr zu identifizieren.
Eine zentrale Koordinierungsstelle im Ministerium kümmert sich seit Oktober darum, die Erkenntnisse der verschiedenen Stellen zu sammeln und in einem künftig halbjährlich erscheinenden Extremismusbericht (PDF, 1,2 MB) zu veröffentlichen. Der erste Bericht kam im März, der nächste soll im Herbst folgen.
Ein im Juni vorgelegter Gesetzesentwurf zur Änderung verschiedener soldatenrechtlicher Vorschriften soll diese Linie juristisch unterfüttern. Künftig sollen Soldaten und Soldatinnen auf Zeit bis ins achte Dienstjahr fristlos entlassen werden können, wenn sie wegen schwerer Dienstvergehen belangt werden. Zudem sollen die Disziplinarvorgesetzten mehr Handlungsspielraum bei der Disziplinierung ihrer Soldaten bekommen. Die Regierung hat dem Entwurf bereits zugestimmt; er wird voraussichtlich Anfang 2021 in Kraft treten.
Nachdem Mitte Mai auf dem Privatgelände eines Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSKKommando Spezialkräfte) Munition, Sprengstoff und Waffen gefunden wurden, ließ Ministerin Kramp-Karrenbauer den Verband von einer Arbeitsgruppe durchleuchten.
Am 01. Juli wurden die Ergebnisse präsentiert: Die zweite Kompanie des Verbandes wird aufgelöst. Mit einer ganzen Reihe weiterer Maßnahmen sollen solche Vorfälle in Zukunft verhindert werden.
Zeigen diese keinen Erfolg, steht eine Neuordnung des gesamten KSKKommando Spezialkräfte an. Ende Oktober soll eine erste Bilanz der Maßnahmen gezogen werden.
Bis zur Jahrtausendwende sind homosexuelle Soldaten der Bundeswehr systematisch diskriminiert worden. Sie hatten bei Beförderungen und anderen personellen Auswahlentscheidungen erhebliche Nachteile zu erwarten. Erst im Jahr 2000 wurde dieser Ungerechtigkeit ein Ende gemacht – „viel zu spät“, wie Ministerin Kramp-Karrenbauer im März einräumte. Sie hat ihr Haus angewiesen, im September einen Gesetzesentwurf insbesondere für die Rehabilitierung jener Soldaten vorzulegen, die aufgrund einvernehmlicher sexueller Handlungen truppendienstlich belangt und verurteilt worden sind. Daran wird mit Nachdruck gearbeitet. Darüber hinaus wurde eine Studie zum Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende beim Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr beauftragt. Deren Ergebnisse werden zeitnah veröffentlicht.
Mobile Teams der Bundeswehr im Einsatz: Ein Soldat der Sanitätsstaffel aus Frankenberg, Sachsen, unterstützt bei der Durchführung von Testabstrichen in Gera.
Dass sich Deutschland jederzeit auf seine Streitkräfte verlassen kann, zeigte die Bundeswehr in der Corona-Krise. Als die Epidemie auch in der Bundesrepublik angekommen war, erließ die Ministerin einen Tagesbefehl: „Kernauftrag erfüllen. In der Krise helfen. Zusätzliche Kräfte organisieren“, war die Devise. Bis zu 15.000 Soldatinnen und Soldaten standen bereit, um die zivilen Behörden bei der Bekämpfung der Pandemie zu unterstützen. Mehr als 700 Ersuche auf Amtshilfe von Ländern und Kommunen wurden bearbeitet. „Unsere Auftragserfüllung war erschwert, aber zu keiner Zeit gefährdet“, zog Annegret Kramp-Karrenbauer vor wenigen Tagen Bilanz. Ihr Versprechen für die Zukunft: „Wenn wir gebraucht werden, sind wir da.“
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