Acht Monate war Kapitän zur See Dirk Gärtner als Dienstältester Deutscher Offizier bei MINUSMAMultidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali, der VNVereinte Nationen-Mission in Mali eingesetzt. Im Interview berichtet der 50-jährige Diplominformatiker von seinen Erfahrungen bei der Arbeit für die VNVereinte Nationen, über den aktuellen Stand des Friedensprozesses in Mali sowie über seine ganz persönlichen Eindrücke.
Herr Kapitän, acht Monate waren Sie in Bamako der DDODienstältester Deutscher Offizier des deutschen Anteils im Force Headquarters MINUSMAMultidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali. Was verbirgt sich hinter diesem Titel?
Als Dienstältester Deutscher Offizier (DDODienstältester Deutscher Offizier) bin ich der nationale Vorgesetzte der sechs hier eingesetzten deutschen Stabsoffiziere sowie eines im Sektor Headquarters in Gao eingesetzten Offiziers. Ferner ist mit dieser Funktion auch die Aufgabe des deutschen „Senior National Representative“ verbunden, das heißt, ich bin der Ansprechpartner für alle Fragen rund um die deutsche Beteiligung an MINUSMAMultidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali für die zivile und militärische Führung der Mission in Bamako. Gleichzeitig bin ich als DDODienstältester Deutscher Offizier das „Sprachrohr“ für den Kontingentführer des Einsatzkontingents in Gao gegenüber dem MINUSMAMultidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali Force Headquarters.
In Berlin sind Sie Unterabteilungsleiter im Planungsamt der Bundeswehr, hier tragen Sie das blaue Barett der Vereinten Nationen. Eine exotische Kombination. Wie ist es dazu gekommen?
Ich hatte schon länger den Wunsch, noch einmal in den Einsatz zu gehen, da ich der Überzeugung bin, dass es auch und gerade bei Stabsfunktionen im Bereich der Planung und Konzeption von unschätzbarem Wert ist, immer wieder den persönlichen Blick „von unten“ – sprich, aus der Einsatzperspektive – zu haben, um planerische Bewertungen und Empfehlungen abgeben zu können. Zusätzlich war es eine tolle Möglichkeit, auch einmal einen tieferen Einblick in Missionen der Vereinten Nationen und insbesondere in deren Strukturen und Verfahren zu erhalten.
Welchen Auftrag haben die Vereinten Nationen in Mali?
Der Hauptauftrag ist, die malische Regierung bei der Umsetzung des Friedensvertrags von Algier und bei der Wiederherstellung von Sicherheit und Stabilität für die Bevölkerung Malis zu unterstützen. Übergeordnetes Ziel ist es, die malische Regierung wieder in die Lage zu versetzen, voll ihrer Verantwortung für die Sicherheit der eigenen Bevölkerung und im gesamten Staatsgebiet nachkommen zu können.
In Mali engagieren sich im Moment unzählige Nichtregierungsorganisationen, einzelne Nationen und auch die Europäische Union. Wie würden Sie die Rolle der VNVereinte Nationen dabei einordnen?
Mali ist aufgrund der Komplexität des Konflikts und der Vielzahl von Akteuren auch für die VNVereinte Nationen eine besondere Herausforderung. Die VNVereinte Nationen übernimmt dabei die Funktion als primus inter pares, sprich, sie koordiniert einerseits die vielfältigen Aktivitäten der unterschiedlichen Akteure und übernimmt – aufgrund ihrer herausgehobenen Position und auf Basis der Resolution des UN-Sicherheitsrates – natürlich die zentrale Funktion bei der Wiederherstellung von Frieden und Stabilität in Mali.
Wie funktioniert bei den VNVereinte Nationen die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Nationen im Alltag?
Nun, maritim gesagt, ist die Mission ein bisschen wie ein Supertanker – große Kapazität, aber ein wenig schwerfällig beim Manövrieren. Der große Mehrwert der VNVereinte Nationen ist die Legitimierung durch die Beteiligung einer Vielzahl von Staaten sowie von zivilen Mitarbeitern der unterschiedlichsten Nationalitäten.
Die Überwindung der unterschiedlichen Prägungen und die Nutzung einer Fremdsprache als Arbeitssprache sind dabei die größten Herausforderungen. Dabei stellen die VNVereinte Nationen mit ihren umfassenden Verfahren und natürlich mit ihren Erfahrungen ein belastbares Fundament für die Bewältigung dieser Herausforderungen bereit.
Wo steht Mali heute im Vergleich zu 2012? Was sind die großen Herausforderungen in naher Zukunft?
Der Friedensprozess verläuft leider viel, viel langsamer und schwerfälliger als geplant. Zusätzlich nehmen die Aktivitäten terroristischer Gruppierungen zu. Dabei sind nicht nur die VNVereinte Nationen und andere internationale Akteure in ihrem Visier, sondern auch die malische Bevölkerung, die malischen Streitkräfte und – wie beim letzten schweren Anschlag in Gao – leider auch die malischen Gruppierungen, die den Friedensvertrag umsetzen wollen. Insgesamt gilt es, die positiven Entwicklungslinien aufzugreifen und gemeinsam mit der Bevölkerung auszubauen und dabei das nötige Durchhaltevermögen zu haben.
Herr Gärtner, in wenigen Tagen endet Ihre Tätigkeit in Bamako. Wie bewerten Sie rückblickend Ihren Einsatz?
Es war eine wirklich einmalige Erfahrung für mich. Mein Blick auf Afrika hat sich auch und gerade durch die Zusammenarbeit in der Mission deutlich verändert. Ich bin der festen Überzeugung, dass es in unserem Interesse sein muss, gerade diesem bevölkerungsreichen Land mit seiner jungen Bevölkerung eine Zukunftsperspektive zu schaffen. Hierfür leistet MINUSMAMultidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag.
Welche Ereignisse, welche Bilder werden für Sie persönlich in Erinnerung bleiben?
Nun, dies ist ein geteiltes Bild: Auf der einen Seite die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit einer lebensfrohen Bevölkerung, die sich nach Sicherheit und Stabilität sehnt. Auf der anderen Seite natürlich auch die täglichen gewalttätigen Zwischenfälle und leider die Vielzahl gefallener VNVereinte Nationen-Kameraden, denen wir nur noch die letzte Ehre erweisen konnten.
Was sollte Ihr Nachfolger noch schnell in Deutschland in den Koffer packen, bevor er nach Mali reist?
Ganz pragmatisch: Genug Mückenschutzmittel. Aber vor allen Dingen ein gehöriges Maß an Ruhe und Gelassenheit, um das „VNVereinte Nationen-System“ mit seinen Stärken, aber auch seinen Schwächen zu akzeptieren. Und die Aufgeschlossenheit für die Arbeit in einem einzigartigen multikulturellen Umfeld.